"Die Bombe is' eh im Koffer"
Pistole angewiesen sind oder auf ein Messer. Und wir erhöhen so die Qualifikationsanforderungen an Terroristen und Entführer. Unsere Botschaft lautet: Wenn du nur mit Messern oder japanischen Samurai-Schwertern hantieren kannst, dann lass es besser. Aber wenn jemand mehr drauf hat als das– was sollen wir da tun? Sein Können und sein Wissen können wir ihm schließlich nicht aus dem Kopf brennen. Der vermutlich gefährlichste Mensch, den ich je am Flughafen erlebt habe, hatte sogar überhaupt keine Waffe dabei.
Ich stand am Transitkontrollpunkt, checkte einen US -Flug und hatte gerade ein wenig Zeit, als ich ihn sah. Er war Asiate, und er war schon hinter der Kontrolle. Er lehnte lässig vor den Toiletten, ein Bein gegen die Wand gestützt. Er war komplett in Schwarz gekleidet, ein Man in Black, und den Stil hatte er sich allerhand kosten lassen. Er war schlank, durchtrainiert, und der Anzug saß so exzellent, dass es einen bewundernd nach Luft schnappen ließ. Man sah keine Falte, man hätte vermutlich nicht mal eine Falte gesehen, wenn er gesessen wäre. Er hatte einen kurzen, sachlichen Haarschnitt, trug eine elegante Sonnenbrille, war leicht gebräunt, aber nicht so, dass es albern ausgesehen hätte. Er scannte die Umgebung, und als er dazu die Brille herunternahm, habe ich losgelacht. Er hatte entweder ein Glasauge oder eine farbige Kontaktlinse, und mir schoss es sofort durch den Kopf: » Auffallen um jeden Preis– da spielt doch einer den supercoolen Yakuza aus der Dorfdisco.« Ich hatte wohl etwas zu laut gelacht, denn er drehte den Kopf zu mir. Sein Blick war eiskalt, er verzog keine Miene, und dann verging mir das Lachen, weil er mir plötzlich gar nicht mehr so ulkig vorkam. Ich hatte seine rechte Hand gesehen.
Man sieht nicht ulkig aus, wenn einem das letzte Glied des kleinen Fingers fehlt.
Es ist nicht alles erfunden, was im Film vorkommt. Die Yakuza, die Mitglieder der japanischen Mafia, trennen sich tatsächlich hin und wieder Teile eines Fingers ab, so wie in » Black Rain«. Sie können auf die Art für kleinere Fehler, die sie begangen haben, bezahlen– anschließend ist alles verziehen. Sein Blick wandelte sich ins Verächtliche. Er hatte mitbekommen, dass ich seinen Finger gesehen hatte und dass mir das Lachen vergangen war. Und damals dachte ich für einen Moment, dass das noch lange nichts bedeuten musste. Da ist einer mit einem eleganten Anzug, er hat ein buntes Auge, er schaut todernst, und ihm fehlt ein Fingerglied– das kann ja auch ein ganz ungünstiger Arbeitsunfall gewesen sein. Aber eine halbe Stunde später sah ich ihn wieder.
Diesmal war er von vier Freunden umringt. Sie trugen alle die gleichen Sonnenbrillen, die gleichen fantastisch sitzenden Anzüge, die gleiche Frisur. Sie hatten natürlich, soweit ich das aus der Entfernung beurteilen konnte, nicht alle bunte Augen. Aber was ich auch aus dieser Entfernung erkennen konnte, war, dass ihnen allen ein Stück des rechten kleinen Fingers fehlte.
Damals hab ich das erste Mal so richtig begriffen, was Mafia bedeutet. Dass es nicht darum geht, unerkannt zu bleiben. Sondern wie wichtig es im Gegenteil ist, auszustrahlen, dass man dazugehört. Und diese fünf Männer, die samt und sonders schon durch die Kontrolle gegangen waren, weil es einfach nicht verboten ist, mit unvollständigen Händen zu reisen, diese Männer strahlten vor allem eines aus: dass es völlig gleichgültig war, ob man ihnen einen Kubotan abnahm oder ihnen stattdessen noch einen dazupackte. Wir können keine Sicherheit garantieren, wir können nur die gröbste Unsicherheit verhindern. Diese Männer waren und blieben gefährlich, so, wie sie da standen, und sie wären auch nackt noch gefährlich gewesen. Wenn solche Leute was im Schilde führen, dann können wir sie mit unseren Kontrollen nicht bremsen. Im Gegenteil: Mit etwas Pech helfen wir ihnen sogar noch.
Ich habe mal bei B 54 im Dauerstress einen Passagier der Businessclass gecheckt. Ich war Sonder. Er war im Grunde unscheinbar, das Auffälligste war noch, dass er mir, als die Torsonde piepste, zuflüsterte:
» Machen Sie bei mir einfach nur dünn drüber!«
Ich stutzte. Auf den ersten Blick sah ich keine größeren Geldbeträge in der Gegend herumliegen, also konnte es schon mal kein besonders bescheuerter Bestechungsversuch sein. Andererseits: Wieso sollte er sonst plötzlich auf die Idee kommen, mir irgendwelche Anweisungen zu geben? Handelte es sich hier um ein Sensibelchen, das leicht
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