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"Die Bombe is' eh im Koffer"

"Die Bombe is' eh im Koffer"

Titel: "Die Bombe is' eh im Koffer" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Lucchesi
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Australien was Ordentliches für Kinder zu essen geben.«
    » Es ist aber dort wirklich, WIRKLICH schwer zu bekommen«, sagte sie.
    » Eine Palette kann ich Ihnen lassen, aber das ist schon das Äußerste.«
    Da sah ich schon das Wasser in ihren Augen. Man merkte sofort, dass das niemand war, der aus Showzwecken weint oder bei jeder Gelegenheit oder aus Rechthaberei oder aus Hysterie, sondern weil sie einfach nur unglücklich war und für ihr Kind das Beste wollte. Vielleicht war es auch nur der Gegensatz: Dass sie sich so auf Australien gefreut hatte und alles so wunderschön hinbekommen und organisiert– und dass jetzt eine so wichtige Sache wie Babynahrung nicht so sein würde, wie sie es sich vorstellte… Jedenfalls begann sie zu weinen, aber nicht zu zetern. Sie nahm einsichtig die überzähligen Paletten vom Band und entsorgte sie in unseren Mülltonnen.
    Na ja, aber was sollte ich denn machen? Ich konnte nicht anders handeln. Außer vielleicht so wie meine weiblichen Kolleginnen.
    Zübeyde war die Erste, eine hübsche junge türkische Luftsicherheitsassistentin. Sie ging zu der jungen Mutter, nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten. Und weil die junge Mutter so untröstlich war, stimmte Zübeyde gleich mit in das Weinen ein.
    Und weil die beiden grad so schön dabei waren, kam Carla dazu, ihre deutsche Kollegin, die nahm alle beide in die Arme und heulte sich auch mal so richtig aus.
    Ich sah mich um, ob noch mehr Mädels kämen. Vor meinem geistigen Auge strömten sämtliche weiblichen Luftassis des Frankfurter Flughafens zusammen, um schwesterlich des Ablebens von drei Paletten Babynahrung zu gedenken. Und ich kam mir gleichzeitig furchtbar schofel und sachlich-nüchtern vor. Achim, dachte ich, was bist du für ein gefühlloser Klotz. Aber wenn ich heute drüber nachdenke, finde ich nicht, dass das stimmt. Ich bin höchstens ein konsequenter Klotz. Und auch nicht um jeden Preis, es gibt Momente, da setzt auch bei mir die Konsequenz aus.
    Wir standen zu fünft an unserer Kontrollstelle, Judith, Else, Fatih, Sergej und ich. Es war Hochbetrieb, und mir sind die Kinder zuerst gar nicht besonders aufgefallen. Es waren junge Schwarzafrikaner, zwischen drei und 15, und beim ersten dachte ich mir noch nichts außer: » Oh, der Bub ist ja auf Krücken unterwegs.« Bis mir auffiel: Dem nächsten Buben nach ihm fehlte ein Arm. Dem danach auch, dem nächsten wieder ein Bein. Und dann guckte ich zu den Kontrollstellen neben uns: Fehlende Arme, fehlende Beine, Kinder jeden Alters. Und dann trat eine Betreuerin zu uns.
    Die Kinder stammten aus vier oder fünf Bussen voll mit Kriegsopfern aus Somalia, Eritrea, allen Bürgerkriegsgebieten des schwarzen Kontinents. Opfer von Landminen, von Spielzeug, das mit Sprengstoff versehen war, von all dem unglaublichen Dreck, der übrigens auch gerne von deutschen Firmen produziert wird. Ein Jahr lang waren diese Kinder in Deutschland gewesen, zur medizinischen Behandlung, zur Versorgung mit Prothesen und damit sie den richtigen Umgang damit üben konnten.
    Ich sah zu Judith. Judith, die selbst eine Tochter hat, blieb äußerlich ruhig. Else stand das Wasser in den Augen. Fatih und Sergej versuchten die Fassung zu bewahren. Und dann begannen wir mit der Kontrolle.
    In einer Prothese kann man mindestens so viel schmuggeln wie in einer Windel. Und natürlich war die Annahme fast schon pervers, das ausgerechnet diese Kinder, denen die hinterlistigsten Sprengstoffe das Leben versaut hatten, dasselbe Zeug jetzt schmuggeln würden. Aber Dienst ist Dienst. Und ausgerechnet diese Kinder erleichterten uns das Kontrollieren. Das mag vielleicht auch an ihrer Herkunft liegen. Schwarzafrikanische Kinder sind oft fröhlicher, unvoreingenommener, herzlicher als europäische Kinder. Kann natürlich auch sein, dass das damit zusammenhängt, dass man ihnen nicht ständig mit einer versauten Zukunft droht, wenn sie nicht vom Kindergarten weg in sämtlichen Eignungstests die höchstmögliche Punktzahl abräumen. Jedenfalls schnallten die Kids ihre Prothesen in einer Geschwindigkeit ab, dass wir kaum nachkamen. Sie waren froh, dass sie uns helfen konnten, krähten, kreischten, dass es eine Freude war.
    Wir durchleuchteten ihre neuen Beine und Arme, wir sahen ihr Lachen und konnten doch nicht verdrängen, dass es am Ziel ihrer Reise – wo auch immer jeder von ihnen hinfliegen mochte –, wahrscheinlich verstummen würde. Dass sie dort nicht mehr Teil einer Gruppe sein würden, in der jedem

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