"Die Bombe is' eh im Koffer"
Einen Säugling schreien zu lassen, ist hingegen ein Klacks. Aber das mag nicht jeder so sehen. Meine beiden Kolleginnen sahen die unglückliche Mutter und den heulenden Winzling und sagten:
» Kommen Sie, gehen Sie durch.«
Und das war der Zeitpunkt, wo ich » Moment mal« sagte, und » Wie haben wir’s denn hier?«.
Das ist ein problematischer Augenblick im Team, denn tatsächlich ist von den vier bis fünf Leuten an der Kontrollstelle keiner der Chef. Ich hatte also nicht mehr zu melden als meine Kolleginnen, aber wenn man in solch einem Moment etwas bewegen will, muss man sich durchsetzen. Manchmal wächst einem eine gewisse Autorität zu, wenn man sich bereits in verschiedenen heiklen Situationen bewährt hat. Aber nachdem die Teams ständig durcheinandergewürfelt werden, ist das natürlich dem Zufall überlassen, ob die Kollegen, die man grade dabeihat, die eigenen Heldentaten miterlebt haben, und wenn man keine solchen Heldentaten vollbracht hat, die einen über Jahrzehnte hinaus an allen Kontrollstellen zur Legende haben werden lassen, dann kann es genauso sein, dass man dasteht wie die letzte Nervensäge. Das Einzige, was man dann noch hat, sind Kontakte, zum Beispiel zur Kontrollstelle nebenan, bei der an diesem Tag Judith Dienst schob.
» Guck mal, Mama, der Papa würd’ jetzt sagen,
die hat ’nen Knackarsch.«
Judith, von der ich wusste, dass sie in Sicherheitsfragen ähnlich tickt wie ich– obwohl sie auch so um die vierzig ist. » Du«, sagte ich zu ihr, » hilf mir mal. Ich hab die Mädels aus meiner Gruppe nicht mehr unter Kontrolle.«
Hinter mir schnaubten die Kolleginnen durch Mund, Nase und was sonst noch an schnaubfähigen Körperöffnungen zur Verfügung stand. Aber das war mir grad wurscht, und Judith erfreulicherweise auch. Sie kam kurz rüber und fragte den Elfenbeinschleier:
» Was hat denn der Kleine?«
» Er ist krank.«
» Krank?«
» Windeldermatitis. Seit zwei Wochen.«
» Und da haben Sie noch immer kein Mittel dagegen?«
Das war das Schöne an Judith, neben manch anderem: Ihr kamen dieselben Sachen seltsam vor wie mir. Seit zwei Wochen ist das Kind krank und wird nicht behandelt– warum eigentlich nicht?
» Das sehen wir uns mal an«, sagte Judith und verschwand mit Mutter und Kind in der Kabine.
Es stellte sich heraus: Die Windel war reichlich voll.
Mit 15 000 Dollar.
Die Mutter fing an zu weinen, jammerte, dass ihr Mann das niemals erfahren dürfte. Dieses Gejammer war im Gegensatz zu dem des Kindes absolut glaubhaft. Wir holten die Polizei.
Was rausgekommen ist, weiß ich nicht, aber ein schwererer Fall müsste es schon gewesen sein. Rein rechtlich ist es nämlich ein Unterschied, ob man seinem Kind wortlos 15 000 Dollar in die Windel schiebt oder ob man auch noch eine Krankheitsgeschichte drum herum erfindet. Letzteres nennt man Verschleierung, und das ist eine Nummer schlimmer.
Fünfjähriger Knirps nach der Kontrolle:
» Jetzt brauchen Sie aber wirklich keine Angst mehr vor mir zu haben, oder?«
Warum mich diese Geschichte zwei Kolleginnen gekostet hat? Weil sich die beiden von diesem Tag an weigerten, mit mir Dienst zu tun. Weil ich ihre Autorität angezweifelt hatte. Aber man sieht: Die Skepsis gegenüber Kindern ist keine Paranoia. Kinder werden selbstverständlich instrumentalisiert. Deswegen gab es auch bei der Hippie-Mama keine Ausnahme.
» Die Mama hat gesagt, ich soll nicht mit Fremden reden.
Und Anfassen geht gar nicht!«
Die Paletten tauchten im Handgepäck einer jungen Mutter auf. Vier Paletten mit Hipp-Gläsern. Vom Typ her hätte ich die Frau unter der Rubrik alternativ, fast schon Hippie, eingeordnet. Sehr hübsch mit einer überaus wohlgeformten Figur, freundlich, aufgeweckt, mit einem niedlichen Kind, das auch mal nur gucken durfte und grapschen. Und mit einem Kind ist Babynahrung natürlich kein Problem, die darf selbstverständlich mit. Aber nicht unbegrenzt. Nahrung fürs Baby geht in Ordnung, aber es darf nicht aussehen wie Export.
» Sagen Sie mal, das ist ja Wahnsinn! Wollen Sie das Kind mästen?«
» Nein«, sagte sie gut gelaunt, » ich wandere aus.«
Sie wollte für ein Jahr nach Australien. Und für die erste Zeit sollte die Kindernahrung reichen. Aber so geht’s leider nicht. Kindernahrung ist Flüssigkeit.
» Es tut mir leid, das ist zu viel. Das können Sie nicht alles mitnehmen.«
» Ja, aber mein Kind muss doch was Vernünftiges essen!«
» So sind unsere Vorschriften«, sagte ich. » Es wird doch auch in
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