Die Botin des Koenigs reiter2
Nächte länger und die Tage kürzer wurden, die Sommersterne zu überstrahlen. Der Mond schien, aber er verringerte die Helligkeit der Sterne nicht.
»Ihr Götter, bitte helft mir«, betete sie, wie sie es jede Nacht tat.
Erst wenn es auf dem Burggelände ruhig geworden war, wagte sich Laren aus ihrem Quartier. Sie hatte bemerkt, dass ihre Fähigkeit in der Stille der Nacht weniger auf sie eindrang als angesichts all der geistigen Aktivitäten von anderen während des Tages.
Am Tag lag sie im Bett, ein Kissen um den Kopf gewickelt, um die Stimme ihrer Fähigkeit zu dämpfen. Es funktionierte selbstverständlich nicht. Nur Schlaf brachte ihr einigen Frieden, obwohl die Stimme manchmal auch in ihre Träume vordrang.
Diese Stimme gab ihre Bemerkungen zu allem und jedem ab, Larens eigene Gedanken und Gefühle eingeschlossen. Langsam, das wusste Laren, würde sie sie so weit treiben, dass sie es nicht mehr ertragen konnte. Was sie dann tun würde, wusste sie nicht.
Und zu all dem musste sie auch noch mit ihrem schlechten Gewissen leben, weil sie ihre Reiter im Stich gelassen und alles Mara aufgebürdet hatte.
Wahr.
Wann immer diese Schuldgefühle aufwallten, erklärte ihre Fähigkeit sie unweigerlich für »wahr«, als zeige sie mit einem anklagenden Finger auf sie.
Falsch.
Sie stieß einen leisen, hoffnungslosen Schrei aus, und dann ging sie weiter hin und her und versuchte, an nichts zu denken. In der Nähe der Reiterunterkunft war es still, und die Dunkelheit lag schwer wie ein Umhang über dem Gebäude. Ein paar kleine Lichter blitzten noch in der Burg, aber das Gelände war voller Schatten, und nur der Mond zeichnete die Umrisse der Dächer und Mauern nach.
Die Glocke drunten in der Stadt schlug die Stunde, und plötzlich brach Laren der kalte Schweiß aus. So etwas wie Entsetzen drängte alle Gefühle von Schuld und Hoffnungslosigkeit in den Hintergrund. Dieses Entsetzen ging von der Reiterunterkunft aus.
Laren rannte auf das Gebäude zu, obwohl sie verzweifelt in die entgegengesetzte Richtung eilen wollte. Das Gebäude war ein Schatten innerhalb des Schattens.
Sie rannte auf etwas zu, das gut ihr Grab werden konnte, und was sie angesichts solcher Angst antrieb, wusste sie nicht. War ihre Angst um die Reiter stärker als ihr eigenes Gefühl für Sicherheit? War es eine innere Kraft, oder hatte ihre Fähigkeit sie bereits in den Wahnsinn getrieben?
Eine Gestalt trat aus dem Schatten des Gebäudes. Eine Woge von Hass drang auf Laren ein.
Die Gestalt kam auf sie zu, hielt einen Augenblick inne und schlich dann noch näher.
Laren wollte weglaufen, aber sie konnte nicht, als hätte sich Eis über ihrer Haut gebildet und hielte sie an Ort und Stelle. »Wir suchen«, sagte der Geist, »Galadheon.«
Lady Estora Coutre ging durch trüb beleuchtete Flure, in denen die Lampen für die Nacht heruntergedreht worden waren. Ihr Vetter würde es zweifellos missbilligen, dass sie hier ohne Eskorte und zu so später Stunde unterwegs war, aber sie konnte nicht schlafen, weil sie so unruhig war. Sie war nervös wegen des Ultimatums, das ihr Vetter dem König im Auftrag ihres Vaters überbringen würde. Sie fühlte sich wie eine Spielfigur auf einem Intrigebrett, die andere zu ihrem eigenen Nutzen hin und her bewegten; sie war machtlos, selbst etwas zu unternehmen. Ihre Zukunft gehörte ihr nicht.
Sie nahm an, dass ihre Beziehung zu F’ryan Coblebay eine geheime Rache an allen gewesen war, die sie stets nur benutzt hatten, um ihre eigenen Pläne voranzutreiben. Eine geheime Rache, ja, aber eine, bei der sie die Macht gehabt hatte – sicherlich nicht über F’ryan, denn er war so unberechenbar wie der Wind gewesen, und nicht über ihre eigenen Gefühle, aber über das Geheimnis selbst.
Die Burgflure erstreckten sich über Meilen, wenn man ihnen durch alle Flügel und in jedes einzelne Stockwerk folgte. Estora ging an Dienerzimmern vorbei, das Tuch übers Haar gezogen, ihr Gesicht im Schatten, sodass niemand sie erkannte. Hier war es still, obwohl ein paar Leute noch wach waren: Ein Koch mit einem Mehlfleck auf der Wange war auf dem Weg in sein Zimmer, eine Wäscherin setzte ihren Korb mit schmutziger Wäsche ab und rieb sich den Rücken.
Sie mied den Verwaltungsflügel mit seinen dunklen, kalten und freudlosen Fluren. Selbst am Tag war dieser ältere Teil der Burg nicht besonders einladend. Dort herrschte eine Atmosphäre von Alter, geisterhaften Präsenzen und von Dingen, die man lieber nicht aufstören
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