Die Botschaft Der Novizin
still in sich hinein. »Mittlerweile bin ich zu alt und zu schwach, um mir meine Schätze selbst zu heben. Helft mir dabei. Es soll Euer Schaden nicht sein, Pater.« Der Alte schwieg. Bevor der Priester antworten konnte, klopfte es an der Tür. »Pater, seid mein Gast. Ich habe mir erlaubt, ein wenig zu essen zu ordern. Leicht Verdauliches für mich, Kräftiges für Euch. Beim Abendessen will ich Euch ein wenig mehr darüber erzählen, was ich glaube und was ich wirklich weiß.« Er wandte sich um, um die Tür zu öffnen. »So lange habt Ihr Zeit, Euch zu entscheiden.«
Padre Antonio war hin-und hergerissen, was diesen Menschen betraf. Doch seine Entscheidung war bereits gefallen. Was konnte er schon verlieren? Nichts. Was konnte er gewinnen? Alles.
Und wenn es auch nur ein Abendessen war.
KAPITEL 20 Die Glocken läuteten die Sonne unter den Horizont. Isabella stand an der Fensteröffnung und horchte nach draußen. Die Stille im Kloster wirkte wie ein Trichter, der die Geräusche von außerhalb der Mauern sammelte und verstärkte. Doch drangen nur Bruchstücke an ihr Ohr, eine Melodiezeile, ein abgehacktes Lachen, ein Ruf, das Geplätscher des Kanals. Es war ihr, als bräche sich das Leben an der Umfassung wie das Meer an den Gestaden und werfe nur Gischtfetzen über die Klippen. Sie lehnte sich gegen das kühle Mauerwerk und fühlte sich für einen Augenblick wie eine Schiffbrüchige auf einer unbekannten Insel. Die letzte rettende Hand schien Hunderte von Meilen entfernt zu sein, und sie war gänzlich auf sich allein gestellt.
Die Novizin ging ihr nicht aus dem Sinn. Warum schlich sie ihr ständig nach? Sicher lauerte sie jetzt ebenfalls irgendwo draußen. Doch diesmal würde Isabella sie abzuschütteln wissen. Mit dem Schlag zur dritten Nachtstunde raffte Isabella sich auf. Das Tageslicht würde noch gut eineinhalb Stunden ausreichen. Sie öffnete ihre Tür und spähte nach draußen. Alles war ruhig. Julia Contarini war nirgends zu sehen. Im Kloster herrschte eine ungewöhnliche Stille. Seit der Patriarch und Padre Antonio ihre Untersuchungen betrieben, hatten die nächtlichen Besuche offenbar aufgehört. Jedenfalls war nach der Komplet, dem Tagesschlussgebet, weitläufig darüber geflüstert worden. Manche bedauerten es, andere sahen gerade darin einen besonderen Reiz, doch offenbar pflegten alle eine gewisse Vorsicht.
Isabella hatte die Schuhe ausgezogen. Ihre Holzpantinen hielt sie in der Hand. Sie hatte nicht die Absicht, sie die ganze Zeit über bei sich zu tragen, sondern wollte sie an einem Ort verbergen, zu dem sie leicht Zugriff hatte, damit sie zu den Vigilien nicht barfuß gehen musste.
Gut zwei Stunden hatte sie nach der Komplet Zeit gehabt, sich über ihr Vorgehen Gedanken zu machen. Sie würde zuerst in Richtung der Aborte laufen. So konnte sie vorgeben, sich erleichtern zu müssen, wenn sie auf eine der Nonnen traf. Außerdem würde sie gegebenenfalls so die Novizin täuschen können. Von dort würde sie zu dem geheimen Durchgang eilen, der nicht weiter vom Abtritt entfernt lag als von ihrer Zelle aus. Die Schuhe konnte sie dort im Gang stehen lassen, bis zu den Vigilien geläutet wurde. Über eine Stunde würde ihr mit der Neumenhandschrift bleiben. Ausreichend Gelegenheit, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Mit fliegendem Habit lief sie zu den Aborten. Das leise Klatschen ihrer bloßen Füße eilte ihr voraus. Doch niemand begegnete ihr, sodass sie, ein wenig außer Atem zwar, doch mit ihrem Plan zufrieden, kurz nach der Abzweigung zu den Gruben inden Gang zum Nonnenchor einbog. Hier verlangsamte sie ihre Schritte und lauschte auf Geräusche. Nichts war zu hören.
Sie war noch keine zehn Schritte in den Gang eingebogen, als sie das Klatschen von ledernen Sohlen vernahm. Zuerst konnte sie nicht ausmachen, aus welcher Richtung die Laute kamen. Sie blieb stehen, um sich zu orientieren, und als sie sich darüber klar war, dass sie von vorne kamen, war es zu spät, den Rückzug anzutreten. Im Dämmerlicht des Gangs suchte sie verzweifelt nach einem Ort, wo sie sich verstecken konnte. Überall standen Truhen an den Wänden, vor ihr ragte ein schwerer Schrank empor, der Wäsche enthielt, jedoch so vollgestopft war, dass sie darin sicher keinen Platz gefunden hätte. Sich neben ihm an die Wand zu pressen und zu hoffen, die Nonne, die hier entlangkam, würde sie nicht sehen, hätte im Dunkeln vielleicht Erfolg gehabt, jetzt in der Abenddämmerung aber musste ihr helles Gewand
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