Die Botschaft Der Novizin
ausgeflogen ist?«
Die Nonne deutete mit ausgestreckter Hand auf die Talglampe in der Ecke. Sie war erloschen. »Bevor wir unseren Tag beginnen, füllen wir nach.«
Padre Antonio erschien das als kein besonders starkes Argument. Schließlich lebte das Mädchen erst wenige Tage im Konvent und könnte das Nachfüllen der Lampe einfach vergessen haben. Aussagekräftiger war da die Nervosität der ehrwürdigenMutter Äbtissin. Diese war so offensichtlich, dass ihr der Geistliche die Unkenntnis über Isabellas Verbleib abnahm. »Glaubt Ihr, sie ist aus dem Konvent geflohen?«
»Ich glaube nur an Gott, Pater«, fuhr ihm die Alte über den Mund. »Für alles andere habe ich meinen Verstand und meine fünf Sinne. Merkt Euch das!«
Padre Antonio schluckte. Langsam verstand er, warum die Mütter des Rats, die Ältestenversammlung, Suor Immacolata aus ihrer Mitte erwählt und das Ordenskapitel, die Versammlung aller stimmberechtigten Nonnen, ihr die Führung übertragen hatte. Sie war durchaus geeignet, die Geschäfte des Konvents zu führen, die Widerspenstigen zu zähmen und zugleich dort ein wenig die Zügel schleifen zu lassen, wo es der Unterordnung und Disziplinierung nicht bedurfte, ohne dadurch an Autorität zu verlieren.
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, ließ die Äbtissin nicht locker. »Ich werde dem Rat der Zehn Meldung erstatten, dass in Eurer Anwesenheit und mit Eurer Kenntnis ein uns anvertrauter Zögling verschwunden ist. Es wird eine Untersuchung geben ...«
»Seid Ihr nicht etwas voreilig?«, warf der Pater ein, doch ein wenig überrascht von der Schnelligkeit, mit der die Nonne hier vorging.
»Bestreitet Ihr vielleicht, dass das junge Ding heute Nacht bei Euch Zuflucht gesucht hat?« Suor Immacolata legte den Kopf schief und schaute ihn von unten an. Jetzt erst bemerkte der Pater, wie klein sie eigentlich war. Ihm war unbehaglich zumute; schließlich erinnerte er sich lebhaft an das Tuch, das ihm Isabella zugeworfen hatte. Es lag noch in seiner Gästezelle, trug ihre Initialen und würde ihn verraten.
»Woher wisst Ihr davon?«, brummte er verstimmt.
Die Äbtissin lächelte unverbindlich, drehte ihm den Rücken zu
und sprach eigentlich gegen die Wand, doch so leise, dass er
glaubte, nichts verstehen zu können. »Bleibt stehen«, hörte erhinter sich sagen. Er drehte sich um, doch dort stand niemand. »Ihr sollt stehen bleiben, Padre!«, forderte ihn die Nonne erneut auf, und jetzt erst bemerkte der Pater, dass die Zelle so gestaltet war, dass sie das gesprochene Wort verstärkte beziehungsweise von einer anderen Stelle aus erklingen ließ. Dann sagte Suor Immacolata einen Satz, der ihn aufwühlte.
»Ihr glaubt, Ihr könnt in dieses Kloster hineinmarschiert kommen, die Regeln auf den Prüfstand stellen, nach denen wir leben, und sie nach Eurem Gutdünken ändern? Ihr solltet wissen, dass diese Gemäuer mit Geheimnissen überladen sind, älter als Euer ganzes Rom, und dass hier die Mauern tatsächlich Ohren haben. Wer hören will, der hört. Deshalb wurde ich zur Äbtissin gewählt. Ich werde dieses Wissen an die nächste Äbtissin weitergeben. Solange dieser Konvent existiert, wird er sich einen feuchten Kehricht darum scheren, was in Rom oder sonst wo auf Gottes Erdball beschlossen wird.«
Dem Pater trocknete die Kehle aus. »Das ist ... «, er räusperte sich, »... offener Widerstand gegen die Autorität der Kirche. Ihr habt Gehorsam gelobt und ...«
»Macht Euch nicht lächerlich, Padre! Ich habe geschworen, in Keuschheit ein gottgefälliges Leben zu führen, meinen Glauben zu verteidigen und meinen Ordensoberen zu gehorchen. Niemals in meinem Leben habe ich eines dieser Gelübde gebrochen – und ich werde es auch in Zukunft nicht tun. Und jetzt, Padre Antonio, gehabt Euch wohl. Fahrt mit Euren Untersuchungen fort, aber lasst mich in Frieden.« Ohne ihn weiter anzusehen, drehte sie sich um und schlüpfte an ihm vorbei und aus der Tür. »Bevor ich es vergesse. Ihr habt hier nichts zu suchen, außer Ihr unter sucht etwas. Das tut Ihr am besten zusammen mit dem Patriarchen. Ich könnte mich sonst gezwungen sehen, meinen Bruder in Kenntnis zu setzen. Der sitzt tatsächlich im Rat der Zehn. Es könnte sein, dass er Euer Verhalten nicht gutheißt.«
Padre Antonio, der sich fühlte, als hätte man ihm einen Krugeiskaltes Wasser über den Kopf gegossen, folgte der Äbtissin durch die Gänge. Vor dem Raum, den man ihm für seine Verhöre zugewiesen hatte, blieb er stehen. Suor Immacolata
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