Die Botschaft Der Novizin
vertrauter ist als du.«
»Was habe ich zu tun?« Isabella konnte sich nichts unter einer Tätigkeit vorstellen, die außerhalb des Klosters lag. Musste sie womöglich die Stadt selbst verlassen und wurde auf eine andere der Inseln in der Lagune geschickt?
Spöttisch verzog die Priorin das Gesicht: » Ora et labora , bete und arbeite, so lautet unser Wahlspruch. Genau das wirst du tun. Möglichst weit von San Lorenzo entfernt.«
Isabella wollte laut protestieren, aber Signora Artella schnitt ihr das Wort ab. »Suor Anna wird ein Auge auf dich haben.« Sie hob die Hand, als sie bemerkte, wie viel Widerspruch sie mit ihrer Entscheidung erntete. »Es ist zu deiner Sicherheit. Deshalb werdet ihr gleich aufbrechen.«
Isabella senkte den Kopf. Wenn sie die Priorin jetzt verärgerte, dann musste sie womöglich tatsächlich die Stadt verlassen. Und auf Dauer in eines der Klöster in der Lagune verbannt zu werden war noch schlimmer, als hier gefangen zu sein.
Viel war es nicht, was Isabella zusammenzupacken hatte. Nur ihr Brevier hatte sie als Eigentum behalten dürfen. Alles andere war ihr abgenommen worden. Die Kiste unter ihrer Schlafstatt war beinahe leer.
Signora Artella verschränkte die Arme. »Alles bleibt im Haus«, befahl sie. »Zieh dir das Habit über«, bestimmte sie noch und sah Isabella streng in die Augen. »Es schützt dich draußen.« Danach gab sie den Weg frei.
Isabella schlüpfte in die Kutte, die roch, als wäre sie lange gelagert worden. Sicher stammte sie aus dem Lager des Klosters, denn dort wurden die Habits aufbewahrt, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden, wenn eine der Nonnen zu ihrem Herrn gegangen war. Dann trat sie ebenfalls nach draußen.
Suor Anna wartete am Ende des Gangs. Ihrer Miene war nicht
zu entnehmen, ob die Strenge darin nur gespielt oder echt war,und auch von Widerspruchsgeist war darin nichts zu erkennen. Isabella machte sich Gedanken darüber, dass sie noch vor wenigen Minuten diese Frau als Vertraute in Betracht gezogen hatte.
Aus dem Nonnenchor drang Gesang. Längst hatten sich die Frauen zum Choral versammelt. Ihr Fehlen und das von Suor Anna würde zu Tratsch und Gerüchten Anlass geben.
»Im Rialto-Gebiet besitzt das Kloster eine Herberge, die Osteria dell’Orso. Dort werdet ihr den Frauen zur Hand gehen. Ich werde euch durch die Pforte führen. Bleibt in der Taverne, bis wir euch wieder hierherbefehlen. Und redet mit niemandem über das Kloster. Verstanden?« Sie stockte kurz. »Ich erwarte, dass ihr dieser Anweisung folgt, auch wenn es schwerfallen mag.« Dann räusperte sie sich, und sie folgten Signora Artella zur Pforte.
Isabella nickte. An der Pforte hüllten sie und Suor Anna sich in weite Mäntel, die ihnen die Schwester ausgab, und verbargen darunter ihre Nonnentracht. Dann machten sie sich auf den Weg.
Solange sie sich innerhalb der Klostermauern befanden, hatten beide kein Wort miteinander gewechselt. Selbst als sie bereits das Kloster verlassen und über die Brücke am Kloster gelaufen waren, wagten sie noch nicht, zu reden. Auf der Brücke selbst hielten sie kurz inne und sahen den Rio di Lorenzo hinauf und hinunter, als wäre es die Wasserscheide ihres Lebens. Eine Gondel schwamm auf sie zu. In ihr saß eine Gestalt; das Gesicht lag noch im Dunkel des anbrechenden Morgens, sodass Isabella nicht erkennen konnte, wer es war. Die Luft strich durch den Kanal von See her kühl in diesen Winkel der Stadt, sodass sie sich in ihre Mäntel hüllten und weitergingen.
Erst als kein Dach und kein Ziegel mehr von San Lorenzo zu erkennen waren, blieb Suor Anna wieder stehen, um Luft zu schöpfen. »Gott sei Dank. Etwas Besseres konnte uns nicht passieren!«, sagte sie erleichtert. Ihr Atem rasselte, und sie hielt sich den Bauch. »Wir sollten zuerst das Quartier aufsuchen.«
Isabella antwortete zunächst nicht. Sie konnte es gar nicht glauben, so unverhofft wieder in dieser quirligen und zugleich lähmenden Stadt zu stehen, die Sonne zu spüren und den Menschen direkt in die Augen sehen zu dürfen. Julia Contarini hatte recht. Wie gut es sich anfühlte, keine Mauern um sich zu haben!
»He, ihr beiden Hübschen«, wurden sie von einer Gruppe Halbstarker angerufen, »was versteckt ihr denn unter euren Mänteln? Lasst doch mal sehen!« Sie schlenderten näher, die Hände auf den Griffen ihrer Schwerter, in den Augen die Gier der Jugend nach dem Weiblichen.
Suor Anna zögerte, doch Isabella war bis vor wenigen Tagen in dieser Welt zu Hause gewesen. Sie kannte das
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