Die Botschaft Der Novizin
und Gelassenheit aus, in der Zeit nur langsam dahintröpfelte.
Mit einem Ruck drehte Isabella sich um. Noch einmal stellte sie die Frage, die ihr bereits beim Eintritt in die Gaststube über die Lippen gerutscht war: »Was sollen wir hier?«
Suor Anna, die mit dem Rücken gegen die Wand lehnte, blickte auf. Ihr Gesicht, vorhin von der Anstrengung gerötet, war nun blass, und die Wangen, sonst rosig und fest, hingen herunter, als gehörten sie nicht dazu.
»Ich glaube, Signora Artella wollte dich schützen. Deine Tante wurde ermordet – und Maria. Die arme Maria.«
»Ich weiß«, sagte Isabella und sah wieder hinaus auf den Kanal. Ein Lastkahn zog vor dem Fenster vorbei, bepackt mit Warenballen. Vorn und hinten standen Ruderer und tauchten mit Bewegungen, die wie rasche Verbeugungen aussahen, ihre Paddel ins Wasser. Einer von ihnen streckte sich eben und blickte zu den Fenstern hoch. Als sich sein Blick mit dem Isabellas kreuzte, zwinkerte er kurz, und ein Lächeln zog über sein Gesicht. Isabella erwiderte es und fühlte, wie sie gleichzeitig errötete undsich freute, von einem Mann wahrgenommen zu werden. Nein. Das Kloster war kein Aufenthaltsort für sie. Dieses Haus hier aber auch nicht ...
Isabellas Entschluss stand fest. Entweder konnte sie die Augen vor dem allen verschließen, oder sie konnte versuchen herauszufinden, was tatsächlich geschehen und warum ihre Tante ermordet worden war. Dazu brauchte sie jedoch jemanden, der die Verhältnisse im Kloster kannte. Langsam drehte sie sich wieder zu Suor Anna um.
»Ich muss wieder ins Kloster zurück«, sagte sie in die Stille hinein, die das Zimmer füllte wie Sand den Glaskolben einer Uhr. »Ich muss wissen, was es mit dem Schlüssel auf sich hat und was ich übersehen habe. Suor Anna, Ihr wisst, wie man ins Kloster kommt, wenn man nicht durch die Klosterpforte kommen darf ...«
»Es ist gefährlich und unvernünftig. Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast.«
Das klang jetzt ganz anders als unterwegs in der Kirche. In den Augen der Chornonne las Isabella tatsächlich so etwas wie Furcht. In den dunklen Pupillen flackerte eine unbestimmte Angst, die sie so noch nicht gesehen hatte.
»Und mit wem habe ich es zu tun?«, fragte Isabella ganz unbefangen. »Sagt mir, wer hat meine Tante auf dem Gewissen? Was wisst Ihr darüber?«
Bevor Suor Anna antworten konnte, klopfte es.
Suor Patina steckte ihren Kopf durch die Tür. »Essen!«, verkündete sie und winkte den beiden Frauen zu. »Ihr müsst essen, bevor wir für die Gäste kochen.«
Sie führte Isabella und Suor Anna die Treppe hinab, wieder in die Gaststube hinein, doch jetzt nach links in einen durch offenes Fachwerk abgetrennten Bereich, in dem niemand saß. Auf dem Tisch standen zwei Schüsseln mit Fleisch und Gemüse, dazu Brot. Isabella bemerkte erst jetzt, wie der Hunger in ihr nagte und ihr den Magen zusammenzog.
Unter der Obhut von Suor Patina pfiff ihnen niemand nach. Es schien, als würden sich die Männer hüten, ihr Interesse zu zeigen.
Verstohlen ließ Isabella ihre Augen über die Gäste gleiten. Ihr Blick blieb an einem jungen Mann hängen, der einen Platz direkt an der Tür eingenommen hatte.
Marcello?
Der sah zu ihr herüber, zeigte jedoch mit keinem Zucken der Lider, dass er sie erkannt hatte.
Was tat Marcello Tanti jetzt schon hier? Stumm setzte sie sich der Chornonne gegenüber, mit dem Rücken zu Marcello.
Suor Anna nahm mit dem Messer nur etwas Fleisch, brach sich ein Stück Brot und steckte es in den Mund. Sie kaute widerwillig und schluckte hart. Plötzlich sprang sie auf und lief nach draußen, die Hand vor dem Mund. Isabella langte mit Appetit zu. Doch kaum hatte sie die ersten Bissen im Mund, als sich Marcello neben sie auf die Bank schob.
»Marcello !«, sagte sie, ein wenig erstaunt, ihn hier anzutreffen. »Wie kommst du hierher? Hat der junge Priuli dich getroffen und hergeschickt?«
Marcello schüttelte den Kopf. »Meinst du Eusebio? Nein. Ich bin ihm nicht einmal begegnet. Ich habe euch beide zufällig gesehen und bin euch gefolgt«, sagte er. »Was macht ihr hier im ›Ochsen‹, einem Matrosenbordell?«
Die Antwort erleichterte Isabella ein wenig und verwunderte sie gleichzeitig. Er war ihnen also gefolgt und nicht auf der Suche nach einem der Mädchen hier.
»Warum bist du uns nachgegangen?«
»Ich wollte nicht mehr bis morgen warten. Also habe ich mich ins Kloster geschlichen.«
Isabella, die ein weiteres Stück Fleisch aufgespießt hatte, überkam ein
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