Die Botschaft Der Novizin
Hätte sie nicht ihre Rückkehr gewagt, wäre sie dem Pater nicht begegnet. Allerdings wunderte sie sich darüber, dass der Geistliche durch das Kloster schlich wie ein Gespenst.
Als die Gestalt des Paters vor ihrem inneren Auge erneut auftauchte und sie bemerkte, wie ihre Lippen vor Hunger nach seiner Berührung spröde wurden, riss sie sich los. Sie wollte aufstehen, als sie auf der gegenüber liegenden Seite eine Gestalt den Kreuzgang betreten sah. Sie trug ein Habit mit Kapuze, die tief ins Gesicht gezogen war. Sie war kräftiger als alle Nonnen, die sie bislang gesehen hatte, wenn es sich überhaupt um eine Frau handelte.
Zuerst wusste Isabella nicht, was sie tun sollte, dann entschied sie sich dafür, einfach sitzen zu bleiben. Auch die Gestalt gegenüber verharrte regungslos, als müsse sie sich erst orientieren. Ihr Kopf pendelte hin und her, als suche sie etwas, und Isabella war lange unklar, was sie suchte, bis das dunkle Kapuzenloch, das das Gesicht darstellte, zu ihr herübersah. Schlagartig wurde Isabella bewusst, wen dieser merkwürdige Sensenmann gesucht hatte: sie selbst.
Sofort wurde sie sich der Gefahr bewusst, in der sie schwebte. Wer immer sich unter diesem Habit verbarg, er suchte sie nicht, um ein Gespräch mit ihr zu führen. Ihre Gedanken überschlugen sich: Wer außer Padre Antonio wusste, dass sie sich im Kloster aufhielt? Rasch stand Isabella auf und hastete auf den Zugang zu, der aus dem Innenhof hinausführte. Aus dem Augenwinkel heraus gewahrte sie, wie der Kopf der Gestalt ihrer Bewegung folgte. Dann plötzlich begann sich der Habit zu bewegen.So fließend und ruhig tat er das, als schwebe er. Isabella stieß scharf die Luft aus, um nicht laut loszuschreien. Sie raffte ihren Rock und sprang auf die Tür zu, die sie in die Bäckerei und von dort in den Gebäudeteil und zum hinteren Auslass führte, an dem Marcello wartete.
Am Schlagen der Tür vernahm sie, dass die Gestalt ihr folgte. Der Gedanke beflügelte ihren Schritt. Sie hetzte durch die Gänge – und fand die Tür nach draußen verschlossen vor. Wie wild hämmerte sie mit den Fäusten gegen die Bohlen. »Marcello! Mar–« Abrupt brach sie ab, als sie am Ende des Ganges, den sie eben hergelaufen war, ein Rascheln vernahm. Die Gestalt war nicht mehr allzu weit von ihr entfernt. Isabella konnte sie nur schwach erkennen, denn Tränen der Furcht verschleierten ihren Blick. Wo, um Himmels willen, blieb Marcello? Er hätte längst aufschließen müssen. Die Augenblicke dehnten sich, bis sie glaubte, die Zeit müsse reißen. Langsam, als gleite sie auf unsichtbaren Schienen, kam die Gestalt näher.
»Nein!«, sagte sie nur. »Nein!« Urplötzlich wurde ihr bewusst, dass sie wohl nicht die Erste war, die von dieser Gestalt verfolgt wurde. War es das Wesen, das sowohl ihre Tante als auch Suor Maria auf dem Gewissen hatte? Wer mochte hinter diesem schwarzen Habit stecken?
»Wenn du näher kommst, kratze ich dir die Augen aus!«, fauchte Isabella und bemerkte selbst, wie hilflos das klang. Die Gestalt verharrte einen kurzen Moment, blieb jedoch stumm und zeigte ansonsten keinerlei Reaktion. Isabella, die nur noch schwach mit der flachen Hand gegen die Holztür schlug, fühlte sich wie die Maus im Angesicht einer Otter, welche sich ihrer Beute sicher war. Den Rücken gegen die Tür gedrückt, verharrte sie in einer Starre, die sie nur fühlen, nicht aber beschreiben konnte.
Doch plötzlich hörte sie hinter sich das Knirschen des Schlüssels. Das Schloss knackte, die Tür wurde nach außen aufgerissen. Isabella stolperte der Bewegung nach und stürzte regelrecht nach draußen. Dabei ließ sie den Blick nicht von diesemGespenst im Benediktinerhabit, das ein Knurren von sich gab, welches nur als Unmut gedeutet werden konnte, und mit einem Satz nach vorne stürzte.
»Die Tür zu!«, schrie sie Marcello an, der sich gegen die Bohlen warf, die Pforte zuschlug und sofort den Schlüssel umdrehte. Im selben Augenblick krachte ihr Verfolger von innen dagegen, als hätte er das Hindernis nicht sehen können. Isabella, die sich aufrappelte, Marcello am Arm packte und hinter sich her zum Kanal zog, hörte ein unirdisches Heulen, als mache sich die Wut Luft, ein Opfer verloren zu haben.
»Wer ... oder was ... war das?«, schluckte Marcello und sah mit weit aufgerissenen Augen zurück, während er sich von Isabella fortziehen ließ.
»Wenn ich das wüsste, wäre ich bereits einen Schritt weiter!«, murmelte Isabella.
»Was war das?«, fragte
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