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Die Botschaft des Feuers

Die Botschaft des Feuers

Titel: Die Botschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Neville Charlotte Breuer Norbert Moellemann
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erfolgreiche Diplomatie. Die einzige Botschaft, die er vom Wiener Kongress aus an seinen neuen Herrn, Ludwig XVIII. in Paris, gesandt hatte, lautete: »Hier haben wir mehr Bedarf an Töpfen als an Instruktionen.« Und Carême hatte alles geliefert.
    Aber das heutige Abendessen, dessen war sich Talleyrand bewusst, würde vielleicht das schwierigste und am feinsten ausgewogene seiner langen kulinarischen Karriere werden. Heute - zum ersten Mal seit beinahe zwanzig Jahren - würde er seinen Sohn sehen. Er und Charlot, der nun kein Junge mehr war, würden eine Menge heikler Fragen zu besprechen und einander viele Dinge zu offenbaren haben.
    Aber der Einzige, der vielleicht alle Antworten auf ihre wichtigsten Fragen haben könnte, war der Mann, den er direkt nach Erhalt des Briefes nach Valençay gerufen hatte: Ein Mann, der Talleyrand sehr nahestand, der sein volles Vertrauen hatte und viele seiner Geheimnisse kannte. Ein Mann, der als Kind von seiner Familie verstoßen worden war und dennoch eine steile Karriere gemacht hatte - genau wie Talleyrand. Ein Mann, der über die Jahre an den Höfen Europas hinter den Kulissen Talleyrands Missionen ausgeführt hatte. Ein Mann, der ihm so nahestand wie ein Sohn, zumindest im Geiste.
    Das war der Mann, der gerade hinter diesen Fenstern das Küchenpersonal unterhielt, während er das Abendessen für die Kinder zubereitete.
    Er war neben Talleyrand der Einzige, der die ganze Geschichte kannte.
    Es war der berühmte Koch Marie-Antoine »Antonin« Carême.

    In dem Kupferkessel auf dem Herd blubberte der geschmolzene Zucker vor sich hin. Carême rührte die Masse unter den aufmerksamen Blicken der Kinder und des mehr als dreißigköpfigen Küchenpersonals sorgfältig um, und alle waren gebannt von der Aura des großen Maître d’Hôtel, des Chefkochs. Der junge Kimberly, sein Lehrling aus Brighton, war Carêmes einziger Gehilfe. Carême streute ein wenig Weinstein in die schäumende Zuckermasse, und die Blasen wurden groß und porös, als wären sie aus Glas.
    Das Werk war fast vollendet.
    Dann tat der Maître etwas, was diejenigen, die nicht mit der Kunst der Patisserie vertraut waren, immer wieder in Erstaunen versetzte. Er tauchte seine nackte Hand erst in eine Schüssel mit Eiswasser, die extra für diesen Zweck bereitgestellt war, dann schnell in die brodelnde Zuckermasse und gleich darauf wieder ins Eiswasser. Die Kinder kreischten vor Entsetzen, und das Küchenpersonal hielt den Atem an.
    Anschließend nahm er sein scharfes Messer, tauchte es ebenfalls in den geschmolzenen Zucker, danach ins Eiswasser, und die Masse platzte von der Klinge ab. » Bien !«, verkündete Carême seinem verblüfften Publikum. »Jetzt können wir loslegen!«
    Mehr als eine Stunde lang sahen die Anwesenden schweigend zu, wie der Maître, assistiert vom jungen Kimberly, der ihm flink die Utensilien reichte, sich als Chirurg, Bildhauer und Architekt zugleich betätigte.
    Mithilfe einer Kupferdüse sprühte er kochend heißen, flüssigen Zucker in die bereitstehenden Formen, die mit duftendem Nussöl eingefettet waren, damit sich das Kunstwerk nach dem Erkalten besser lösen ließ. Nachdem schließlich die verschiedenen Patisserieformen gefüllt und alle notwendigen Gebilde vorhanden waren, warf der Meister unter Zuhilfenahme
von Schneebesen, die er selbst entworfen hatte, glitzernde Zuckerbänder in die Luft wie ein venezianischer Glasbläser, drehte sie zu geflochtenen Schnüren, genannt cheveux d’anges , Engelshaar, und schnitt sie dann in lange, säulenartige Stücke.
    Talleyrand sah vom Rosengarten aus durch das Fenster zu. Als Carême den schwierigsten Teil der Arbeit beendet hatte, bei dem man ihn auf keinen Fall ablenken durfte, und nachdem alle Teile ausgehärtet waren wie Bergkristalle, ging Talleyrand in die Küche und nahm neben den Kindern Platz.
    Er wusste sehr gut, dass sein schwadronierender Koch, der schon so lange in seinen Diensten stand, es sich nicht würde nehmen lassen, sich angesichts eines so zahlreichen Publikums über seine Fertigkeiten und Kenntnisse auszulassen, trotz der Anstrengung, die das Kunstwerk für seinen ohnehin schon angeschlagenen Gesundheitszustand bedeutete. Und Talleyrand wollte hören, was er zu sagen hatte.
    Alle sahen Carêmes Vorführung gespannt zu. Der Meister hielt alle Teile nacheinander kurz an die glühenden Kohlen in der Feuerstelle, um sie anschmelzen zu lassen und sie dann an die anderen Teile anzukleben. Aber jedes Mal, wenn er sich über die

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