Die Botschaft des Feuers
vollgestopften, aber stuhllosen Haus.
Key und Wartan liefen die Wendeltreppe rauf und runter und schleppten Kissen und Hocker heran, und schließlich machten Lily und Zsa-Zsa es sich neben dem Feuer auf einem Berg aus Polstern bequem. Key setzte sich auf die Klavierbank und Wartan auf einen hohen Bibliothekshocker, um zuzuhören.
In der Zwischenzeit hatte ich mich mit dem beschäftigt, was ich am besten konnte - mit Kochen. Es half mir, einen klaren Kopf zu bekommen, und außerdem würden wir so auf jeden Fall für alle genug zum Essen haben, falls noch weitere Gäste hereinschneien sollten. In dem riesigen Kupfertopf, der über dem Feuer hing, köchelten die Lebensmittel, die ich im Tiefkühlschrank gefunden hatte - Schalotten, Sellerie, Möhren, Pfifferlinge und Rindfleischstücke - in einer Soße aus Fleischbrühe und starkem Rotwein, gewürzt mit Worcestershiresoße, Zitronensaft, Cognac, Petersilie, Lorbeerblättern und Thymian: Alexandras bewährtes Lagerfeuer- Bœuf-Bourguignon .
Den Eintopf ein paar Stunden kochen zu lassen, während ich in meinem eigenen Saft schmorte, schien mir genau das Richtige zu sein. Ich hatte an einem Vormittag so viele Schocks erlebt, dass ich mindestens bis zum Abendessen brauchen würde, um sie zu verarbeiten. Aber Lilys Geschichte sollte noch eins draufsetzen.
»Vor fast dreißig Jahren«, sagte Lily zu mir, »haben wir deiner Mutter alle geschworen, dass wir nie wieder über das Spiel
sprechen würden. Aber jetzt, wo diese Zeichnung aufgetaucht ist, muss ich die Geschichte erzählen. Und ich glaube, dass das auch der Wunsch deiner Mutter ist«, fügte sie hinzu, »sonst hätte sie etwas von so großer Bedeutung niemals in einer klemmenden Schublade versteckt. Zwar ist mir immer noch schleierhaft, warum sie all die anderen für heute hierherbestellt hat, aber sie hätte niemals irgendjemanden an einem derart bedeutenden Datum wie ihrem Geburtstag eingeladen, wenn es nicht mit dem Spiel zu tun hätte.«
»Mit dem Spiel?«, wiederholte Wartan.
Es wunderte mich, dass die Geheimnistuerei, die meine Mutter um ihren Geburtstag machte, etwas mit Schach zu tun haben sollte. Aber da es sich offenbar um etwas handelte, das vor dreißig Jahren vorgefallen war, konnte es nicht um das Spiel gehen, das meinen Vater das Leben gekostet hatte. Dann kam mir ein Gedanke.
»Dieses Spiel, über das zu schweigen ihr gelobt habt«, fragte ich Lily, »ist das vielleicht der Grund, warum meine Mutter immer versucht hat, mich vom Schachspielen fernzuhalten?«
Erst in diesem Augenblick fiel mir ein, dass außerhalb unseres engsten Familienkreises niemand etwas von meiner kurzen Karriere als Beinahe-Schachprofi gewusst hatte, ganz zu schweigen von den familiären Streitereien über das Thema. Key hob leicht die Brauen, bemühte sich jedoch, nicht allzu überrascht zu wirken.
»Alexandra«, sagte Lily, »du hast die Beweggründe deiner Mutter all die Jahre missverstanden. Aber das ist nicht deine Schuld. Wir waren uns, wie ich gestehen muss, alle einig - Ladislaus Nim und ich, selbst dein Vater -, dass es das Beste wäre, dich über alles im Dunkeln zu lassen. Wir glaubten tatsächlich, dass das Spiel für lange Zeit, vielleicht sogar für immer, beendet sein würde, nachdem wir die Teile an einem
geheimen Ort vergraben und die gegnerische Mannschaft vernichtet hatten. Und als du dann geboren wurdest und wir dein außergewöhnliches Talent entdeckten, waren so viele Jahre vergangen, dass wir dachten, es sei ungefährlich für dich, Schach zu spielen. Anscheinend hat nur Kat begriffen, dass das ein Trugschluss war.«
Lily schwieg einen Augenblick und fügte dann leise, als würde sie mit sich selbst sprechen, hinzu: »Es war nie das Schachspiel selbst, wovor deine Mutter sich so sehr gefürchtet hat, sondern ein ganz anderes Spiel - ein Spiel, das meine Familie zerstört und wahrscheinlich deinem Vater das Leben gekostet hat. Das gefährlichste Spiel, das man sich vorstellen kann.«
»Aber was für ein Spiel ist das?«, fragte ich. »Und was für Teile habt ihr vergraben?«
»Es ist ein uraltes Spiel«, antwortete Lily, »basierend auf einem kostbaren, mit Edelsteinen besetzten Schachspiel aus Mesopotamien, das einmal Karl dem Großen gehört hat. Man sagte ihm nach, es besäße eine gefährliche Macht und sei mit einem Fluch belegt.«
Wartan, der neben mir saß, packte mich am Ellbogen. Wieder überkam mich dieses vertraute Gefühl des Wiedererkennens; irgendetwas, das sich in den Tiefen meiner
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