Die Botschaft des Feuers
niemandes Blicken verborgen. Dieser Raum mit seinen Damasttapeten war nicht außergewöhnlich. Dicht an dicht hingen Werke der berühmtesten Maler Europas an den Wänden - oder stapelten sich auf dem Boden -, darunter auch einige Bilder von Feschs langjährigem Schützling, der Malerin Madame Cosway, auf deren dringenden Wunsch hin sie heute alle hier zusammenkamen. Das war zumindest der offizielle Grund.
Die Nachricht hatte lange gebraucht, um Byron zu erreichen, denn man hatte sie zuerst nach Pisa geschickt. Als er sie in seiner neuen Villa in Genua, der Casa Saluzzo mit Blick auf Portofino und das Meer, erhielt, hatte er sich in aller Eile auf den Weg gemacht, noch ehe er Zeit gehabt hatte, sich in der Villa einzurichten. Er hatte seinen Liebhaber, seine Angehörigen und ungebetenen Gäste ebenso zurückgelassen wie seine Menagerie - Affen, Pfauen, Hunde und exotische Vögel -, die gerade erst auf mehreren Schiffen aus Pisa eingetroffen waren.
Denn zweifellos ging es um etwas von großer Bedeutung, das sich entweder gerade ereignet hatte oder kurz bevorstand.
Ohne Rücksicht auf das Fieber und die Schmerzen in seinen Eingeweiden, die ihn plagten wie die Qualen des Prometheus, war Byron eine Woche lang so hart geritten, um rechtzeitig in Rom einzutreffen, dass ihm kaum Zeit geblieben war, um in den grauenhaften Gasthäusern, wo er mit seinem Diener Fletcher übernachtet hatte, zu baden oder sich auch nur zu rasieren. Nachdem man ihn in den Palazzo geführt und ihm ein Kristallglas mit dem hervorragenden Rotwein des Kardinals angeboten hatte, um seinen Magen zu beruhigen, sah Byron sich zum ersten Mal in dem prächtigen Salon um, nur um festzustellen, dass er sich nicht nur fehl am Platz fühlte, sondern obendrein stank! Er war noch immer mit seinem staubigen Reitanzug bekleidet: kurze blaue Uniformjacke, schlammverkrustete Stiefel und die lange, rote Nankinghose, die seinen verkrüppelten Fuß verbarg. Seufzend stellte er das Glas mit dem Rotwein auf einen kleinen Tisch und nahm den Schal ab, den er stets wie einen Turban um den Kopf gewickelt trug, um seine blasse Haut gegen die Sonne zu schützen. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle wieder entfernt und Fletcher angewiesen, ihm eine Unterkunft zu besorgen, wo er ein Bad nehmen und sich umziehen konnte, aber das war leider unmöglich.
Denn jetzt kam es vor allem darauf an, die Zeit zu nutzen. Und wie viel Zeit blieb ihm überhaupt noch?
Als Byron noch jung gewesen war, hatte eine Wahrsagerin ihm prophezeit, dass er sein sechsunddreißigstes Jahr nicht überleben würde, was ihm damals in unendlich weiter Zukunft zu liegen schien. Aber morgen, am 22. Januar, war sein fünfunddreißigster Geburtstag. In wenigen Monaten würde
er nach Griechenland aufbrechen, um den Kampf des griechischen Volks für die Unabhängigkeit mit Geld und persönlichem Einsatz zu unterstützen, einen Krieg, für den sein Freund Ali Pascha sein Leben geopfert hatte.
Aber Ali hatte natürlich auch noch etwas anderes geopfert.
Nichts anderes konnte doch die Botschaft bedeuten.
Denn obwohl es sich bei der Nachricht, die Letizia Bonaparte ihm geschickt hatte, augenscheinlich um die Antwort auf einen Brief von ihm handelte, in dem er sich in verschleierter Form nach Shelley erkundigt hatte, hätte die Bedeutung der Botschaft, die sie in ihrer Mischung aus verschiedenen Sprachen zum Ausdruck gebracht hatte, nicht eindeutiger sein können:
A Signor Gordon, Lord Byron,
Palazzo Lanfranchi, Lung’Arno, Pisa
Chèr Monsieur,
Je vous invite à un vernissage de la pittrice Inglese,
Mme Maria Hadfield Cosway, date: le 21 Janvier, 1823,
lieu: Palazzo Falconieri, Roma. Nous attendons votre réponse.
Les sujets des peintures suivi:
Siste Viator
Ecce Signum
Urbi et Orbi
Ut Supra, Ut Infra.
Es war eine Einladung zu einer Ausstellung von Gemälden von Madame Cosway, einer Frau, mit deren Namen er aufgrund des Ruhms, den ihr verstorbener Ehemann als königlicher Maler am Hof des Prinzen von Wales genossen hatte, durchaus vertraut war. Madame Cosway selbst war ein Protegé
von Kardinal Fesch und hatte während ihrer Jahre in Paris die Gönnerschaft des berühmten französischen Malers Jacques-Louis David genossen.
Aber nicht diese Einladung hatte Byron hellhörig gemacht und ihn zu der überstürzten Abreise aus Genua veranlasst, sondern die Bedeutung der darin enthaltenen Botschaft. Zum Beispiel gehörten die »Themen« von Madames »Gemälden« kaum zu jenen, die Künstler für ihre
Weitere Kostenlose Bücher