Die Bourne-Identität
im ganzen Südchinesischen Meer vertrieben. Sie wußten, wo man nachts unbehelligt mit dem Hubschrauber landen konnte, welche Dschungelpfade am Feind vorbeiführten.«
»Ein ganz schön bunter Haufen«, meinte Walters. »Wie, zum Teufel, haben Sie es fertiggebracht, daß die miteinander auskamen?«
»Da gab es keine nennenswerten Schwierigkeiten«, erläuterte der Oberst. »Wir haben ihnen verlockende Versprechungen gemacht: Beförderungen, Begnadigungen, Geldprämien, je nachdem. Sehen Sie, die mußten alle ein wenig verrückt sein; das begriffen wir. Wir bildeten sie heimlich zu Einzelkämpfern aus. Wie Peter schon erwähnte, war das Risiko unglaublich groß - eine Gefangennahme führte gewöhnlich zu Folterung und Hinrichtung; der Preis war hoch, und sie bezahlten ihn. Die meisten Leute hätten Sie als Paranoide bezeichnet, aber wenn es um Störung der feindlichen Nachschublinien oder Tötungskommandos ging, waren sie genial. Besonders wenn es ums Töten ging.«
»Und wie hoch waren die Verluste?«
»Die Operation Medusa hatte mehr als neunzig Prozent Ausfälle zu beklagen. Unter denjenigen, die nicht zurückkamen, gab es allerdings einige, die das gar nicht beabsichtigten.«
»Sicherlich die Kriminellen.«
»Ja. Einige sind mit beträchtlichen Geldbeträgen untergetaucht, die für die Operation Medusa bereitgestellt waren. Wir glauben, daß Cain einer dieser Männer ist.«
»Warum?«
»Er hat später Codes, Finten und Tötungsmethoden benutzt, die beim Medusa-Training entwickelt worden sind.«
»Um Himmels willen«, unterbrach ihn Walters, »dann haben Sie ja einen direkten Draht zu seiner Identität!«
»Leider nicht. Wir haben alle Akten studiert, die wir über die Operation Medusa angelegt haben - ohne Erfolg. Wir sind nicht schlauer als zuvor.«
»Das ist unglaublich«, sagte der Kongreßabgeordnete. »Oder es zeugt von totaler Unfähigkeit.«
»Nein, keinesfalls«, wandte Manning ein. »Sehen Sie sich den Mann an. Nach dem Kriege agierte Cain überall in Ostasien: auf den Philippinen, in Malaysia, Japan, Kambodscha und Laos. Vor etwa zweieinhalb Jahren erfuhren wir über unsere asiatischen Agenten und Gesandtschaften von Cain, der gegen Geld professionell und rücksichtslos jeden Mordauftrag ausführte. Die Berichte nahmen mit erschreckender Häufigkeit zu. Es schien, als hätte Cain bei praktisch jedem Mord von einiger Bedeutung die Hand im Spiel. Cain war überall. Und doch war niemand in der Lage, uns den entscheidenden Wink zu geben. Wo sollten wir da mit der Suche beginnen?«
»Hatten Sie unterdessen nicht schon festgestellt, daß er bei der Operation Medusa dabeigewesen war?« fragte der Mann aus Tennessee.
»Ja. Das ist eindeutig.« Der Oberst klappte den Aktendeckel auf. »Hier sind die Verlustlisten. Während der Operation Medusa sind dreiundsiebzig Amerikaner, sechsundvierzig Franzosen, neununddreißig Australier und vierundzwanzig Briten spurlos verschwunden. Darüber hinaus sind aber noch etwa fünfzig Weiße als vermißt gemeldet, die von neutralen Kräften in Hanoi angeheuert worden sind. Die meisten von ihnen kannten wir überhaupt nicht. Wer von diesen Männern lebt? Wer ist tot? Selbst wenn wir die Namen aller Überlebenden erführen, wüßten wir nicht, wo sie sich jetzt aufhalten. Wir sind uns nicht einmal in bezug auf Cains Staatsangehörigkeit sicher. Vermutlich ist er Amerikaner. Aber es gibt keine Beweise dafür.«
Walters hob die Hand. »Darf ich?« sagte er und wies mit einer Kopfbewegung auf die zusammengehefteten Seiten.
»Sicher.« Der Offizier sah den Kongreßabgeordneten an. »Sie sind sich natürlich darüber im klaren, daß alle Namen immer noch als Verschlußsache gelten, ebenso wie Operation Medusa selbst.«
»Wer hat diese Entscheidung getroffen?«
»Es handelt sich dabei um eine Anweisung aus dem Weißen Haus, die auf den Empfehlungen der Vereinigten Stabschefs beruht. Sie ist auch vom Militärausschuß des Senates unterstützt worden.«
»Ziemlich aufwendig, nicht wahr?«
»Man war der Ansicht, es läge im nationalen Interesse«, sagte der CIA-Mann.
»Dann will ich nichts sagen«, meinte Walters. »Wir würden uns nicht gerade mit Ruhm bekleckern, wenn die Sache herauskäme. Die Vereinigten Staaten bilden offiziell keine Killer aus, geschweige denn, daß sie sie für militärische Zwecke einsetzen.« Er blätterte in der Akte. »Und irgendwo gibt es einen Mörder, den wir ausgebildet haben und nicht mehr finden können.«
»So ist es«, bestätigte
Weitere Kostenlose Bücher