Die Bourne Intrige
und schlich weiter zur Treppe. Als er etwa ein Drittel zurückgelegt hatte, bot sich ihm ein seltsames Bild. Ein Mann stand mit dem Rücken zu ihm. Vor ihm saß Joškar, Lew Antonins Frau, an einen Küchensessel gefesselt. Der Knebel über ihrem Mund war halb heruntergerutscht, deshalb hatte man ihr Stöhnen gehört. Ein Auge war geschwollen, und sie hatte Schnittwunden im Gesicht, aus denen das Blut strömte. Um sie herum kauerten drei ihrer vier Kin der wie Küken bei der Henne; sie waren alle an den Füßen gefesselt, um sie am Weglaufen zu hindern. Angesichts der bedrohlichen Erscheinung des Mannes vor ihnen hätten sie das ohnehin kaum gewagt. Wo war Lew Antonin?
Der Mann schlug Joškar fast gelangweilt auf den Kopf. »Hör auf zu flennen«, sagte er. »Dir hilft sowieso nichts mehr. Egal wie sich dein Mann entscheidet – du und diese Gören …« Er trat mit dem Fuß mehrmals zu, und die harte Schuhspitze traf Hüftknochen und Rippen. Die Kinder, die ohnehin schon weinten, schluchzten noch lauter, und ihre Mutter stöhnte verzweifelt auf. »Du und diese Gören, ihr seid erledigt. Tot und begraben, hast du mich verstanden?«
Während Arkadin den Worten des Mannes lauschte, fiel ihm etwas Wichtiges auf. Der Mann, wer immer er war, konnte nicht von hier sein – sonst hätte er gewusst, dass eines von Lew Antonins Kindern fehlte. War das der Kerl, der die Mitglieder der Bande getötet hatte? In diesem Moment hielt Arkadin das für äußerst wahrscheinlich.
Arkadin schlich wieder die Treppe hinauf und kehrte zu dem Wandschrank zurück. Lew Antonins Sohn hatte sich nicht von der Stelle gerührt, und er forderte ihn auf, mitzukommen, aber still zu sein, egal was passierte. Er hielt den verängstigten Jungen hinter sich und stieg lautlos die Treppe hinunter, bis er ungefähr die Mitte erreicht hatte. Unten hatte sich nicht viel geändert, nur dass die Frau nun wieder geknebelt und ihr Gesicht noch blutiger war.
Als Lew Antonins Sohn hinter ihm hervorgucken wollte, schob ihn Arkadin wieder zurück hinter seine Beine, damit man ihn nicht sah.
Er duckte sich und flüsterte: »Nicht bewegen, bis ich es dir sage.«
Als er die Angst in den Augen des Jungen sah, regte sich etwas in ihm, ein Gefühl vielleicht, das lange unter dem Schlamm seiner Vergangenheit begraben gewesen war. Er zerzauste dem Jungen das Haar, dann stand er auf und zog die Glock, die er hinten im Hosenbund stecken hatte.
Arkadin richtete sich zu voller Größe auf. »Ich würde vorschlagen, du lässt diese Leute in Ruhe«, sagte er.
Der Mann wirbelte herum, und einen Moment lang war sein Gesicht zu einer hässlichen Maske verzerrt, ehe dieses herablassende Lächeln erschien, das ihm bald so vertraut sein sollte. Arkadin kannte diesen Gesichtsausdruck und wusste, was er bedeutete; dieser Mann genoss es, andere in seiner Gewalt zu haben und sie in Angst und Schrecken zu versetzen.
»Wer zum Teufel bist du, und wie kommst du hier rein?« Obwohl er überrascht war und in den Lauf einer Glock blickte, schien der Kerl kein bisschen beunruhigt zu sein.
»Mein Name ist Arkadin, und was zum Teufel machst du hier?«
»Arkadin, wirklich? Sieh an …«
Sein Grinsen wurde noch eine Spur selbstgefälliger und süffisanter. Es war ein Grinsen, dachte Arkadin, das danach schrie, aus dem Gesicht gewischt zu werden, am besten mit einer geballten Faust.
»Mein Name ist Oserow. Wjatscheslaw Germanowitsch Oserow, und ich bin hier, um dich aus diesem verdammten Loch herauszuholen.«
»Was?«
»Ja, du Idiot, mein Chef Dimitri Iljitsch Maslow will dich in Moskau haben.«
»Wer zum Teufel ist Dimitri Iljitsch Maslow?«, erwiderte Arkadin. »Und was geht es mich an, was der Typ will?«
Oserow machte den Mund auf, und heraus kam ein Geräusch, das ungefähr so klang, wie wenn man mit dem Fingernagel über eine Tafel kratzte. Es dauerte einen Moment, bis Arkadin klar wurde, dass der Mann lachte.
»Du bist wirklich ein Hinterwäldler. Vielleicht sollten wir dich hierlassen bei den anderen Schwachköpfen.« Oserow schüttelte sich vor Lachen. »Zu deiner Information: Dimitri Iljitsch Maslow ist der Chef der Kazanskaja.« Er legte den Kopf auf die Seite. »Schon mal was von der Kazanskaja gehört, Kleiner?«
»Moskauer Mafia«, sagte Arkadin mechanisch. Er war wie im Schock. Der Chef von einem der größten Mafiaclans der Hauptstadt hatte von ihm gehört? Und er hatte Oserow hergeschickt – und vermutlich noch jemanden, denn Oserow hatte »wir« gesagt –, um ihn
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