Die Bräute des Satans
auf der Klinke, drehte er sich langsam um. Doch da war nichts, weder vor, auf noch neben dem Altar. Mit Ausnahme des Geruchs nach Schwefel und eines eiskalten Lufthauchs, aufgrund dessen die vier Bienenwachskerzen beinahe erloschen wären. Ihn fröstelte, und der Griff, mit welchem er die Türklinke umklammerte, verstärkte sich. Einen Ausweg aus seinem Dilemma gab es freilich nicht. Er war wieder da, und er musste ihm gehorchen. Ohne zu zögern, ohne wenn und aber.
Folglich ließ er die Türklinke los, machte kehrt und näherte sich dem Altar. Das Gefühl für Zeit und Raum war ihm völlig abhandengekommen, und als er die aufgeblätterte Bibel auf der Altarmensa liegen sah, wusste er, welche Stunde für ihn geschlagen hatte. Augenblicklich, im Angesicht des Unabwendbaren, war er nicht mehr der, für den er sich hielt. Der Mann, der den Bursarius ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg geräumt und das, was von ihm übrig geblieben war, auf dem Rost der Heizkammer deponiert hatte. Er war nur noch ein willfähriges Opfer, und seine Hilflosigkeit ließ ihn erschaudern.
Doch war all das Nebensache, und ohne sich dessen bewusst zu sein, trat er vor den Altar, griff nach der Bibel und begann darin zu blättern. Nicht etwa wie ein Suchender, sondern mit einem ganz bestimmten Ziel. Ohne Notiz zu nehmen vom Blattgold, den Blütenranken, den vielfarbigen, bald purpurnen, bald karmesinroten Lettern. Aber auch ohne jedwede Eile oder gar Hast. Er wusste, was er zu tun hatte, worin seine Bestimmung lag. Und er gehorchte, ohne zu zögern.
Als er zu der Offenbarung des Johannes kam, hielt er inne. Was er da las, war ihm natürlich längst bekannt, doch wurde er das Gefühl nicht los, als nehme er diese Zeilen zum ersten Mal wahr. Nicht lange, und sein Gesicht rötete sich vor Zorn, und die schwarze Galle stieg unaufhaltsam in ihm empor. Er las laut, mit weithin vernehmbarer Stimme, die, hätte er sie gehört, er schwerlich als die eigene identifiziert hätte. » › Und wenn tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis losgelassen werden und wird ausgehen, zu verführen die Heiden an den vier Enden der Erde, den Gog und Magog, sie zu versammeln zum Streit, welcher Zahl ist wie der Sand am Meer. Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Und es fiel Feuer von Gott aus dem Himmel und verzehrte sie. Und der Teufel, der sie verführte, ward geworfen in den feurigen Pfuhl und Schwefel … ‹ « [19] Außer sich vor Zorn, hielt er abrupt inne, während sich seine sanftmütigen Züge in eine hasserfüllte Fratze verwandelten. Bis dato ein Mensch, dem man seine Ruchlosigkeit nicht ansah, wurde er von übermächtigem Hass erfasst, packte die Seite und riss sie mit einem kräftigen Ruck heraus.
Erst viel später, als die Laienbrüder bereits in die Kirche strömten, kam er wieder zur Besinnung. Dank der Chorschranke, derentwegen er nicht zu sehen war, blieb ihnen seine Anwesenheit jedoch verborgen. Da ihm bis zum Auftauchen der Fratres nur noch wenig Zeit blieb, musste er sich freilich sputen, und so zögerte er denn auch keine Sekunde.
Das Blatt in seiner Hand fing rasch Feuer, und während die Asche auf die Fliesen rieselte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Das hier, genau wie der Mord an Bruder Severus, war seine Rache, und er genoss sie in vollen Zügen.
Wieder an der Totenpforte angelangt, drehte er sich noch einmal um. Und siehe, ihm ward ein Lob zuteil, wenngleich die Stimme, welche aus der hereinbrechenden Dämmerung zu ihm herüberschallte, nichts Menschliches an sich hatte.
»Gut gemacht!«, zischte sie, während ein greller, aus dem Nichts aufgetauchter Blitz in die Altarmensa fuhr. »Und nun geh und tue, wie dir befohlen worden ist!«
Vesper
[Noviziat, 14:50 h]
Worin Billung von Steinsfurt die verdiente Strafe zuteilwird und er Alanus blutige Rache schwört.
»Wams ausziehen, Hände aufs Pult und mit dem Gesicht zur Wand.« Bruder Cyprianus, die Sanftmut in Person, war nicht wiederzuerkennen. Außer Alanus, den Bruder Cyprianus in die Obhut von Bruder Achatius gegeben hatte, waren sämtliche Novizen anwesend, und als das Strafgericht anhub, wurde es mucksmäuschenstill. Die Klosterschüler starrten wie gebannt zum Pult, allen voran Gozbert und Diepold, denen das Herz buchstäblich in die Hosen sackte. Leugnen hatte keinen Zweck gehabt, aber wenn sie gehofft hatten, der Novizenmeister würde Gnade walten
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