Die Bräute des Satans
tiefschürfende Diskussion wollte er es besser nicht ankommen lassen. Dafür war er momentan viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. »Nicht wirklich«, erklärte Bruder Hilpert und begab sich zum Fenster, von wo aus der Mönchsfriedhof zu sehen war. Bis zum Einbruch der Dunkelheit, bei dem sich die Fratres ins Dormitorium begeben würden, blieb ihm nicht mehr viel Zeit, und was ihn bedrückte, war die Tatsache, dass er noch keinen Schritt vorangekommen war. Das traf sowohl auf den Mörder als auch dessen Motive zu. Bruder Hilpert kam ins Grübeln. Eigentlich hatte der Infirmarius ja recht. Ein normaler Mensch, noch dazu ein Mönch, war zu einer Tat wie dem Mord an Bruder Severus nicht fähig. Zu einer Brutalität, welche den Schluss nahelegte, ein wildes Tier sei über den Mitbruder hergefallen. Nach Lage der Dinge konnte es sich jedoch nur um ein Mitglied des Konvents gehandelt haben. Wer sonst hätte die Möglichkeit gehabt, sich unbemerkt in die Klausur zu schleichen, Bruder Severus umzubringen und ihn anschließend wie ein erlegtes Stück Wild zu zerstückeln?
An diesem Punkt seiner Betrachtungen drehte sich Bruder Hilpert um und richtete den Blick auf den Schragentisch, von dem aus ein kaum wahrnehmbarer, nach Blut, Knochenmark und vorzeitiger Verwesung riechender Odem in die Höhe stieg. Obwohl er es nur mit Mühe ertragen konnte, wich er dem Bild nicht aus, sondern sah stur auf das Bahrtuch, unter dem sich die sterblichen Überreste des Bursarius befanden. Bruder Marsilius hingegen hatte sich abgewandt, eine Laterne vom Haken genommen und die dafür vorgesehene Kerze mittels Feuerstahl, Schlagstein und Zunder entzündet. Nach getaner Arbeit, bei der er sich als ausgesprochen geschickt erwies, wandte er sich wieder Bruder Hilpert zu und hielt die Laterne genau über den Tisch. »Das heißt, Ihr schließt die Möglichkeit, dass sich der Mörder in unseren Reihen befindet, nicht von vornherein aus, oder?«
Irgendetwas am Tonfall des Infirmarius ließ Bruder Hilpert aufhorchen, wenngleich er sich eingestehen musste, dass er vermutlich langsam Gespenster sah. »So in etwa könnte man es sagen«, räumte er nach kurzer Bedenkzeit ein. »Weshalb ich Euch bitten möchte, den Fall nochmals mit mir durchzugehen.«
»Ganz wie Ihr wünscht.« Im Schein der Laterne, deren Schattenbild an der Wand hin und her schaukelte, sah Bruder Marsilius wie ein überdimensionales Monstrum aus, und die Stimme, mit der er sprach, passte sich der Erscheinung an. »Kurz und gut: Wo fangen wir an?«
»Beim gestrigen Abend«, antwortete Bruder Hilpert ohne Zögern, dafür mit umso mehr Unbehagen im Bauch. Weshalb, konnte er sich selbst nicht so recht erklären, redete sich dennoch ein, dass dies weder mit Bruder Marsilius noch mit der beklemmenden Atmosphäre in seinem Laboratorium zusammenhing. Wer weiß, vielleicht sah er tatsächlich Gespenster und tat besser daran, nicht überall nach Schuldigen zu suchen. Schon gar nicht hier, in der Person von Bruder Marsilius. »Frage: Wann und wo habt Ihr Bruder Severus zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern Abend.«
»Und an welchem Ort?«
»In der Brunnenhalle, kurz nach der Komplet. Wo im Übrigen nicht nur ich, sondern auch Ihr selbst zugegen wart.«
»Das trifft zu, beantwortet jedoch nicht meine Frage.«
»Wieso denn?«
»Weil ich wissen wollte, wann Ihr den Heimgegangenen zuletzt gesehen habt.«
»In der Brunnenhalle, wo denn sonst?«, begehrte der Infirmarius auf, noch verdrossener als zuvor. Vom Verlauf, den das Gespräch zu nehmen begann, war er offensichtlich nicht angetan.
»Und danach?«
»Danach habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen«, erwiderte Bruder Marsilius barsch. »Rasieren, Haareschneiden, Waschen und auf direktem Weg ins Dormitorium – wo, wenn nicht während der Vigilien, sollte ich ihn denn gesehen haben?«
»Erstaunlich.«
Der Infirmarius schaute Bruder Hilpert mürrisch an. »Wieso?«
»Weil sich niemand, den ich danach gefragt habe, daran erinnern kann, ob Bruder Severus während der Vigilien überhaupt anwesend gewesen ist. Das Morgenlob inbegriffen. Fragt sich natürlich, wie so etwas sein kann.«
»Und Ihr, Bruder Hilpert? Wo wart Ihr eigentlich?«
Über das Gesicht von Bruder Hilpert, der sich erneut dem Fenster zuwandte, flog ein hintergründiges Lächeln. »Schön, dass Euch wenigstens das aufgefallen ist, Bruder«, antwortete er mit unverhohlener Ironie. Draußen vor dem Fenster senkte sich die Dunkelheit herab, und die Nebelschwaden, aus
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