Die Bräute des Satans
Hilpert vor sich hin, schlug ein Kreuz und rang um Fassung. An sich hätte er erleichtert sein müssen, doch blieb die Genugtuung über das Schicksal seines Widersachers aus. Zu viel war geschehen, als dass er sich hätte freuen, zu wenig, als dass er hätte triumphieren können. Der Fall war noch nicht gelöst, obwohl er seinem Ziel ein gewaltiges Stück näher gekommen war.
Blieb die Frage nach dem Warum, die Frage aller Fragen. Warum hatte sich Bruder Oswin zum Handlanger degradieren und vor den Karren eines Mannes spannen lassen, der zum blindwütigen Werkzeug seiner Rache geworden war? Warum dieser Mord an Bruder Severus, der in puncto Grausamkeit schwerlich zu übertreffen war? Der Mord an der alten Els, zu der er in keinerlei Beziehung gestanden zu haben schien? Bruder Hilpert legte die Stirn in Falten und ließ den Tag noch einmal an sich vorüberziehen. Kein Zweifel: Bevor diese Fragen nicht geklärt waren, konnte von einer Lösung des Falles keine Rede sein. Dies war ihm einmal mehr klar geworden.
Was also tun? Schwer vorstellbar, dass sich der Mann, dem er das Handwerk legen wollte, so einfach in sein Schicksal fügen würde. Was fehlte, waren Beweise, Fakten, Zeugenaussagen. Dann, und nur dann, würde er den Drahtzieher im Hintergrund auch wirklich zu fassen kriegen.
Ohne es zu bemerken, hatte sich Bruder Hilpert dem Leichnam des Elemosinarius bis auf wenige Zoll genähert. Als er den Blick hob, fiel ihm das Lächeln auf, welches auf den Zügen des Toten lag. Keine Spur von Qual, Schmerz oder Pein. Keine Spur von Furcht, sondern das genaue Gegenteil.
Höchst ungewöhnlich, in der Tat.
Bruder Hilpert kratzte sich nachdenklich am Kinn, und es fiel ihm schwer, seine Gedanken zu ordnen. Vier Tote, und immer noch kein Ende in Sicht. Bis zum Kapitel blieben lediglich acht Stunden, und die Beweiskette war immer noch nicht geschlossen.
Was also tun, wohin sich wenden, wie reagieren?
»Der Herr möge sich seiner erbarmen.« Beim Klang der Stimme, welche die Stille im Kreuzgang urplötzlich zerplatzen ließ, fuhr Bruder Hilpert zusammen, machte einen Ausfallschritt und wirbelte herum. Er rechnete mit dem Schlimmsten, sogar mit einem weiteren Mordanschlag. Doch er irrte. Der Rubrikator, der den Toten wie gebannt musterte, war mindestens ebenso erschrocken wie er.
»Darf man fragen, was Ihr hier zu suchen habt, Bruder?«, fuhr der Bibliothekarius seinen Untergebenen an. »Warum seid Ihr nicht in der Kirche?«
»Auf die Gefahr hin, mir Euren Zorn zuzuziehen, Bruder«, druckste der zweiundzwanzigjährige Chorbruder mit Kölner Akzent herum. »Isch hatte noch wat zu … ich wollte sagen, ich hatte noch etwas zu erledigen.«
»Mitten in der Nacht? Schon einmal etwas von Bettruhe gehört?«
»Selbstverständlich, Bruder«, erwiderte der Rubrikator und zupfte an seinen abstehenden Ohren herum. »Was soll man machen, wenn es so viel zu tun gibt?«
»Erklärt Euch, wenn’s beliebt.«
»Nichts leichter als das.« Der Rubrikator atmete tief durch. »Wie Ihr wisst, arbeite ich gerade an einem Kodex, der für die Bibliothek des Pfalzgrafen bestimmt ist.«
»In der Tat.«
»Damit er rechtzeitig fertig wird, habe ich mir gedacht, ist es vielleicht am besten, wenn ich eine kleine Sonderschicht einlege.« Der Rubrikator wich Bruder Hilperts Blick aus. »Zur höheren Ehre Gottes sozusagen. Will heißen: Da ich sowieso nicht schlafen konnte, habe ich mich aus dem Dormitorium geschlichen und bin rüber ins Skriptorium, um mich noch ein wenig an meinem Kodex zu ver …«
»Ihr seid was?«
»Rüber ins Skriptorium«, quäkte der Rubrikator, sichtlich betrübt über den zu erwartenden Rüffel. »Ist das denn so schlimm?«
Bruder Hilpert ging nicht auf die Frage ein. »Und wann?«, insistierte er, wobei er den Elemosinarius glatt vergaß. »Wann genau – raus mit der Sprache!«
Der Rubrikator blinzelte nervös. »Vor etwa einer halben Stunde«, beeilte er sich zu antworten. »Wieso?«
»Wieso? Ganz einfach: Weil Ihr, gesetzt den Fall, Eure Zeitangabe träfe zu, Bruder Oswin direkt in die Arme gelaufen sein müsst.«
»Bin ich ja auch.«
»Ihr seid was?«, wiederholte Bruder Hilpert, dem die Verblüffung ins Gesicht geschrieben stand. »Und dann?«
Der Rubrikator rieb sich die Nase, sah den Toten flüchtig an und trat verlegen auf der Stelle. »Als ich gehört habe, dass sich jemand an der Tür zu schaffen macht, habe ich mir den Kodex geschnappt, die Kerze ausgeblasen und zugesehen, dass ich so schnell wie möglich
Weitere Kostenlose Bücher