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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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zum Fenster und schaute auf den Hof. Ich hatte Nan unten auf der Bank sitzen sehen, ein Croissant essend.
    Heute war es dunkel, man konnte nichts erkennen, und Nan war tot.
    Ich drehte mich um.
    Der kleine Teddy lag auf dem Bett, dort, wo ich ihn hingelegt hatte. Ich ahnte seine dunklen Umrisse. Der Lichtstrahl streifte ihn, doch Lambert sah ihn nicht. Er ging in ein Nebenzimmer. Ich zögerte, dann nahm ich den Teddy in die Hand, im Flur holte ich ihn ein. Ich musste nichts sagen.
    Er drehte ihn um, um das Etikett zu lesen, und nickte.

    Er gab ihn mir zurück, damit ich ihn wieder auf das Bett legte. Er schien in seinen Gedanken verloren.
    »Das will nichts heißen … Auf jeden Fall reicht es nicht als Beweis«, sagte er schließlich.
    Wir sahen uns an.
    Was ich verstanden hatte, hatte er verstanden.
    »Es reicht nicht«, sagte ich.
    Als wir die Zuflucht wieder verließen, setzten wir uns draußen auf die Stufen. Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte sie halb, ohne ein Wort zu sagen.
    Er starrte hartnäckig vor sich auf den Boden.
    »Ich habe mit Nan gesprochen, am Tag vor ihrem Tod. Ich war am Strand, sie ist zu mir gekommen. In allem, was sie mir gesagt hat, war etwas … Seither denke ich ständig daran …«
    »Was war …?«
    »Sie wollte mir eine Kette zurückgeben … Eine Kette mit einem Medaillon. Sie hat gesagt, es gehöre mir. Sie sprach mit mir, als würde sie mich kennen.«
    »Das hat sie mit allen gemacht.«
    »Nein. Nicht so … Sie hat mich gefragt, warum ich weggegangen bin, wo ich die ganze Zeit gewesen bin. Ich habe ihr von Paris erzählt, vom Morvan, und sie hat sich aufgeregt, weil das nicht zu ihrer Geschichte passte.«
    Er blies den Rauch weit von sich.
    »Waren Sie schon mal da drin?«, fragte er und zeigte auf das noch offene Fenster hinter uns.
    »Ja.«
    »Warum?«
    Ich antwortete nicht.
    Er fragte nicht nach.
    Er rauchte weiter.
    »Irgendetwas kam mir an dieser Sache merkwürdig vor, also
habe ich gemacht, was ich immer mache, wenn ich arbeite, ich habe sie verhört.«
    Sein Gesicht verhärtete sich. Seine Augen konzentrierten sich auf einen Punkt, auf einen Gedanken, von dem er um keinen Preis ablassen würde.
    »Schließlich hat sie mir von einem Kind erzählt, das man ihr gebracht hatte, schwerkrank, fast tot, und ich habe in ihren Augen gesehen, wie die beiden Geschichten sich vermischt haben. Sie wusste es nicht mehr. Sie hat orientierungslos in die Hände geklatscht, und dann ist sie plötzlich stehen geblieben und hat auf eine Stelle am Strand gestarrt, zwischen den Felsen. Sie hat gesagt: Dort warst du. Dann ist sie gegangen.«
    Er zündete sich die nächste Zigarette an. In der Dunkelheit war die Glut ein Lichtpunkt, den man vom Weg aus sehen konnte.
    »Nicht ich war es, der dort gewesen ist.«
    Er starrte einen Moment auf die Zigarette, die zwischen seinen Fingern verbrannte. Lange sagte er nichts.
    Und dann ganz langsam.
    »Ich glaube, mein Bruder lebt.«
    Er sah mich an, verwirrt, es zu sagen, es aussprechen zu müssen.
    »Ich glaube, er hat das Bootsunglück überlebt … Ich glaube, Nan hat ihn aufgenommen.«
    Er richtete sich auf.
    »Fragen Sie mich nicht warum oder wie, aber ich glaube auch, dass sie ihm die Identität eines anderen gegeben hat.«
    Er warf einen Kieselstein weit von sich. Der Stein prallte gegen einen Fensterladen.
    »Verdammte Intuition!«
    Er schrie es heraus.

    »Ich weiß nicht, wie das alles abgelaufen ist, aber ich kriege es raus.«
    Er ging zum Fenster zurück.
    »Wir gehen nochmal rein.«
    Er schaltete wieder seine Lampe ein.
    »Es kann nicht sein, dass wir nichts finden …«

A m Ende des zweiten Saals, zwischen den Gemeinschaftsräumen und Nans Haus, war eine dicke Tür, ein Durchgang, der die beiden Gebäude verband. Wir versuchten, sie aufzubekommen, aber sie war abgeschlossen. Lambert sah sich um, schließlich fand er ein Stück Draht und fing an, im Schloss herumzustochern. Seltsam, dieses Knirschen im Haus einer Toten.
    »Das können Sie nicht machen …«, sagte ich.
    »Sie werden sehen, dass ich das kann«, antwortete er.
    Er nahm mehrere Anläufe. Dann musste er die Tür nur noch aufdrücken.
    In der Küche war alles wie an dem Tag, als ich die tote Nan besucht hatte. Die Tassen, der Kaffeerest in der Kanne, die Zeitung.
    Lambert sah sich rasch um, ohne etwas anzurühren. Im ersten Zimmer stand das Bett, das Kopfkissen noch eingedrückt. Dahinter ein weiteres, kleineres Zimmer, das ich bei meinem Besuch nicht gesehen

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