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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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schließlich sind sie zurückgekommen. Ich war lange wütend, dass sie so früh aufgegeben haben.«
    »Es war Nacht …«
    Er schüttelte mehrmals den Kopf.
    »Als sie ertrunken sind, habe ich geschlafen.«
    Er schüttelte erneut den Kopf.
    Fühlte er sich schuldig, weil er nicht mit ihnen gefahren war? Nicht mit ihnen gestorben war?
    »Waren Sie bei Théo?«
    »Noch nicht … Aber ich werde zu ihm gehen.«
    Er füllte sein Glas und leerte es in einem Zug.

     
    Es war kurz nach Mitternacht, als er mich heimbrachte. Er setzte mich am Gartentor ab.
    Morgane erwartete mich an der Tür.
    »Hast du mit ihm geschlafen?«, fragte sie, ohne guten Abend zu sagen. Ohne irgendwas zu sagen. Sie folgte mir in den Flur, presste sich an mich, um an meiner Haut zu schnuppern.
    »Los, sag schon!«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nein.«
    »Das glaube ich dir nicht. Du riechst nach Alkohol!«
    Ich legte die Hand aufs Treppengeländer.
    »Ich muss ins Bett.«
    »Wo wart ihr? Bei ihm?«
    »Nein.«
    »Bei der Irin?«
    Sie strich um mich herum. Ich war müde. Sie ließ mich nicht gehen.
    »Er hat dich zurückgebracht, er hat dich direkt vor der Tür abgesetzt … Und du hast nicht mit ihm geschlafen?«
    »Nein.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Nichts.«
    »Kann nicht sein! Er muss doch was gesagt haben, ehe du ausgestiegen bist!«
    »Er hat gute Nacht gesagt.«

I ch wachte mit Kopfschmerzen auf. Ich trank warme Milch, die Wimpern im Dampf.
    Es war schönes Wetter.
    Ich hatte mit Lambert vereinbart, dass wir um zehn Uhr zu den Grotten gehen würden. Es war ein schnelles Versprechen gewesen, als er mich am Gartentor abgesetzt hatte. Bestimmt war es bald zehn.
    Ich ging zum Fenster. Er saß auf der Terrasse des Gasthofs, am selben Tisch wie am ersten Tag. Ich hatte keine Lust rauszugehen. Zu zweit verändert sich die Umgebung. Die Stille ist keine Stille mehr, auch wenn der andere schweigt.
    Ich duschte. Zog einen Pullover an.
    Als ich an seinen Tisch kam, zeigte er zum Hafen.
    »Von diesem Tisch aus sieht man sehr gut den Platz, an dem mein Vater immer sein Boot festgemacht hatte.«
    Die Sonne strahlte. Es war nicht warm, aber wir hatten ein paar Stunden mit ruhigem Wetter vor uns. Bis zu den Grotten war es ein weiter Weg.
    Er lächelte, als könnte er meine Gedanken lesen.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, ich kann so schweigen, dass ich stumm werde.«
    Wir liefen nebeneinander am Wasser entlang und wechselten
bis zu den ersten Häusern von La Roche kaum ein Wort. Als wir in den Pfad einbogen, mussten wir hintereinander gehen. Manchmal lief er vornweg, dann wieder ich. Die Landschaft war schön. Das Meer leuchtete. Ab und zu blieb er stehen und sah sich um. Er sprach nicht. Wenn er stehen blieb, hielt auch ich an. Dann gingen wir weiter, und ich gewöhnte mich daran, mit ihm zu laufen. An der Bucht von Établette sahen wir uns an.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
    Ich zögerte und sagte: »Ja, alles in Ordnung.«
    Die Grotten waren direkt unter uns.
    Er erinnerte sich, dass er diesen Spaziergang oft mit seinen Eltern gemacht hatte, aber er war nie zu den Grotten hinuntergestiegen. Zu gefährlich. Ein zu unsicherer Weg. Wir bogen ab und folgten einem kleinen von Ziegen gebahnten Trampelpfad, der sich durch die Büsche schlängelte und schließlich im Meer mündete. Er war eng und sehr rutschig. Ab und zu mussten wir uns an die Zweige klammern und auf unseren Sohlen rutschen.
    Wir sprangen auf den Strand. Eine tote Möwe schwamm auf dem Wasser, ihre weißen Flügel wurden von den Wellen hin-und hergeworfen. Schwarze Algen wogten auf und ab. Es war eine bewegte Welt, nicht die Welt des Wassers, aber auch nicht die des Landes. Ein Dazwischen.
    Die Grotten lagen vor uns: La Grande Église , la Petite Église und die Grotte du Lion . In diesen Grotten waren einst die ersten Legenden von La Hague entstanden. Legenden von Tieren und Menschen.
    Die Eingänge zu den Grotten befanden sich etwas weiter weg.
    Wir gingen an der Steilküste entlang.
    Ein Riss teilte den Fels. Es war eine schmale Bresche, die bis unter die Kirche von Jobourg führte.

    Als wir die Grotte betraten, mussten wir uns bücken, um weitergehen zu können.
    Unter meinen Fingern spürte ich die Feuchtigkeit der Wand. Tierschädel waren in den Fels zementiert, ich strich mit der Hand darüber. Vogelskelette. Der Wind hatte sie geglättet. Ich kratzte, bis ich ein Stück Knochen abgelöst hatte. Er schmeckte salzig.
    Wir gingen noch tiefer hinein, dann drehten wir um und kamen

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