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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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wieder zum Eingang zurück.
    »Machen wir Feuer!«, sagte ich.
    Es war noch altes Holz da. Trockene Zweige. Er holte seine Streichhölzer aus der Tasche. Ich riss ein paar Seiten aus meinem Heft. Das Holz fing sogleich Feuer, wir setzten uns davor, die Knie zwischen den Armen, und starrten in die Flammen. Unsere Schatten tanzten an der Wand.
    »Geht’s besser?«
    Er sah mich an.
    Ich verstand nicht.
    »Meine Anwesenheit, ertragen Sie sie?«
    »Ja …«
    Er lächelte.
    Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte sie bis zum Filter, ohne etwas zu sagen.
    Ich sah ihm zu, die Hände über dem Feuer ausgestreckt. Ich dachte an den Eremiten, dessen Geschichte mir Monsieur Anselme erzählt hatte. Ein Mann hatte mehrere Jahre in dieser Grotte gelebt und sich von Regenwasser und Brot, das ihm irgendwer vorbeibrachte, ernährt. Zum Schlafen hatte er ein Bett aus Stechginster gebaut. Mit ein paar Tierfellen hatte er sich zugedeckt. Jahre hatte er hier verbracht, ohne einen Menschen zu sehen. Ohne zu sprechen. Im Angesicht des Meeres. Aber eines Tages war er aufgestanden und hinausgegangen. Bauern,
die auf den Wiesen arbeiteten, sahen einen Mann vorübergehen, dessen Bart und Haare so lang waren, dass sie die Erde berührten. Ehe sie sich aufgerichtet hatten, war der Mann verschwunden.
    Lambert drückte seine Zigarette auf einem Stein aus. Ich spielte weiter mit einem Stock im Feuer. Kleine Funken stoben auf, flogen davon und verschwanden, vom Halbdunkel verschluckt.
    Ich erzählte ihm die Geschichte des Eremiten. Als ich fertig war, sah er mich zweifelnd an.
    »Der Eremit hat doch wenigstens ein paar Worte mit dem Mann gewechselt, der ihm das Brot gebracht hat?«
    »Nein … Das Brot wurde in einen Eimer gelegt und der Eimer an ein Seil gebunden. Sie sind sich nie begegnet.«
    Er nickte.
    »Und wie lange war er hier in der Einsamkeit?«
    »Viele Jahre. Fast zehn, glaube ich.«
    Mit der Spitze meines Stocks stocherte ich im Boden und löste ein Stück braune Erde heraus. Ich nahm sie in die Hand. Sie roch gut.
    »Ich würde gerne wissen, warum er die Grotte verlassen hat«, sagte ich und hob den Kopf.
    Er sah mich an.
    »Er war jahrelang hier, und eines Tages ist er aufgestanden und gegangen. Finden Sie das nicht auch komisch?«, fuhr ich fort.
    »Mich würde eher interessieren, warum er so lange in der Grotte geblieben ist …«
    »Es gibt tausend Gründe, sich einzuschließen. Herauszukommen ist viel schwerer.«
    Er hatte kleine Steine gesammelt, die auf dem Boden der Grotte lagen, und ließ sie von einer Hand in die andere rieseln.

    »Gestern Abend habe ich Ihnen von meinem Bruder erzählt … Ich wollte sehr lange nicht an seinen Tod glauben. Ich hatte das Gefühl, ihn sonst zu verraten.«
    Vor uns verbrannten die Zweige.
    »Der Notar sagt, das Haus müsste in drei Monaten verkauft sein. Kennen Sie vielleicht jemanden, der mir helfen könnte, den Garten in Ordnung zu bringen?«
    »Das kann Max machen.«
    »Max, ja …«
    Er strich mit dem Daumen über seine Lippen.
    »Hören Sie auf damit …«, sagte ich.
    Er sah mich an. Ich erklärte mich nicht, und er legte die kleinen Steine auf einem Haufen neben das Feuer.
     
    Max hatte das neblige Wetter genutzt, um auf den Felsen zu angeln. Dort gab es Barsche. Er hatte seine gelbe Seglerjacke an. Sein Eimer war blau. Man sah ihn schon von weitem.
    Als wir auf dem Weg vorbeigingen, rief er uns zu sich und zeigte uns seinen Eimer. Er hatte keine Barsche gefangen, nur ein paar Makrelen, Doraden und einen schönen Hering. Er begleitete uns zurück. Meistens warteten die Leute, die Fisch kaufen wollten, unten bei den Booten. Aber heute war niemand da.
    Lambert fragte Max, ob er ihm helfen würde, seinen Garten in Ordnung zu bringen. Max antwortete nicht.
    Er setzte sich an den Kai und putzte seine Fische, die Abfälle warf er ins Hafenwasser. Die Schuppen und alles, was er ihnen aus dem Bauch riss. Kinder sahen ihm dabei zu.
    Die Möwen kreisten über seinem Eimer.
    Max schnitt den Kopf des Herings ab. Für einen Moment schwamm er zwischen zwei Booten, das runde Auge starrte in den Himmel.

    Es heißt, der Hering habe eine Seele, und wenn man dieser Seele begegne, könne man sie befragen, wie man einen Weisen befragt.
    Man sagt auch, die Dorade wechsle siebenmal die Farbe, ehe sie stirbt.
    Ich sah Lamberts Gesicht im Gegenlicht an. Die tiefen Schatten in seinen eingefallenen Wangen.
    Max träumte davon, aufs Meer zu fahren und einen Heringshai zu fangen. Dazu musste er erst

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