Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
mir, dass ein kleines Mädchen damit weggelaufen sei, den Eseln hinterher, dass sie mit den Stöcken getrommelt habe und dass er diesen Klang noch lange gehört habe.
    »Max war da und hat mir geholfen, das Gestrüpp auszureißen. Er schenkt Morgane und Lili Blumen. Und Ihnen, schenkt er auch Ihnen welche?«
    »Mir nicht …«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß nicht … Er ist nicht in mich verliebt.«
    »In Lili ist er auch nicht verliebt.«
    Er blies den Zigarettenrauch aus.
    »Und? Wissen Sie, wie die Trommel in die Böschung gekommen ist?«
    »Es war Nan«, antwortete ich, »sie war in Ihrem Haus, sie hat sie gestohlen.«

    Ich erzählte ihm alles, was mir die Mutter gesagt hatte, fast wortwörtlich, ohne etwas hinzuzufügen. Er hörte mir zu. Dann nahm er einen letzten Zug, drehte sich um und sah Théos Haus an.

W ir ließen die Felsen hinter uns und gingen auf der Straße zurück.
    »Waren Sie immer noch nicht bei ihm?«, fragte ich, weil er zu Théos Haus sah.
    »Nein … Aber ich gehe noch hin. Ich weiß, dass er verantwortlich ist, auch wenn ich manchmal lieber glauben würde, es sei das Meer. Das Meer allein, das sie geholt hat. Das hätte mehr Format, finden Sie nicht? Dieser alte Verrückte dagegen …«
    Er steckte die Hände tief in die Taschen. Ein paar Tage La Hague hatten gereicht, um sein Gesicht zu furchen.
    »Das ist wie bei einem Menschen in den Bergen. Wenn die Berge ihn umbringen, ist es besser, als wenn er das Opfer eines Begleiters wird.«
    »Gehen Sie deshalb nicht zu Théo? Haben Sie Angst, dass das Ergebnis ihnen nicht gefällt?
    Er grinste und sah mich an.
    »Ich war bei Théo, vor langer Zeit … Ich wollte mit ihm sprechen, ich wollte ihn auch töten. Das Haus steht abgelegen, niemand hätte mich gesehen, das perfekte Verbrechen, es hätte gewirkt wie Raubmord.«
    »Es gibt kein perfektes Verbrechen.«

    »Das gibt es, glauben Sie mir, und das wäre es gewesen.«
    »Man hätte Sie gefasst, man hätte Sie ins Gefängnis gesteckt.«
    »Ich war noch minderjährig.«
    »Und warum haben Sie es dann nicht getan?«
    »Weil meine Wut irgendwann abgeebbt ist … diese schreckliche Wut … Man braucht Hass, um zu töten, oder man muss verrückt sein … Sie können das nicht verstehen.«
    Ich ballte die Fäuste. Was verstehen? Dass man eines Tages aufwacht und nicht mehr weint? Wie viele Nächte habe ich ins Kopfkissen gebissen, ich wollte die Tränen, den Schmerz wiederfinden, wollte weiter wimmern. So war es mir lieber. Ich wollte gern sterben, danach, als der Schmerz meinen Körper überwältigt hatte, bestand ich nur noch aus deinem Fehlen, ein Berg schlafloser Nächte, das war ich, ein Magen, der sich übergibt, ich dachte, ich würde krepieren, aber als der Schmerz vergangen war, hatte ich etwas anderes kennengelernt. Und das war nicht besser.
    Es war die Leere.
    Lambert schaute immer noch zu Théo. Fühlte er sich schuldig, am Leben zu sein? Nicht mit ihnen gefahren zu sein? Er erzählte mir, dass er vor langer Zeit einmal mit dem Zug hierher zurückgekommen war. Allein. Er wollte das Meer wiedersehen, den Ort, an dem seine Eltern gestorben waren.
    »Und? Haben Sie damals mit Théo gesprochen?«
    »Ich bin an seinem Haus vorbeigegangen. Er stand im Hof und sah mich an. Er konnte nicht wissen, wer ich war. Ein kleiner Junge, der ein Kalb an einem Strick herumführte, war bei ihm … Das Kalb war nicht größer als der Junge. Als der Junge auf mich zurannte, rief ihn Théo zurück. Er erkundigte sich, was ich wolle. Ich sagte ihm, wer ich bin, da wollte er nicht mehr mit mir sprechen. Er sagte, dass er mir nichts zu sagen habe
und dass es ein Unfall gewesen sei. Dass Unfälle im Meer nun mal passierten. Ich hatte einen der Rettungsleute erzählen hören, dass er das Licht ausgeschaltet hätte. Ich sprach ihn darauf an, aber er blieb stumm. Am selben Abend bin ich wieder weggefahren.«
    »Warum sollte er das getan haben?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Haben Sie Beweise?«
    Er schüttelte den Kopf und erklärte dann, dass man auf seine innerste Überzeugung hören müsse.
     
    Wir kamen zum Kai zurück. Max stand bei seinem Boot. Als er uns sah, lief er auf uns zu, griff erst Lamberts Hand und drückte sie ganz fest, dann meine.
    »Wir haben uns heute früh schon gesehen …«, sagte ich.
    Das wusste er, doch es war ihm egal. Er zog uns zu seinem Boot. Die Arbeit war fast vollendet. »In ein paar Tagen …«, sagte er, ohne seinen Satz zu beenden. Die Möwen schrien über uns, die

Weitere Kostenlose Bücher