Die braune Rose
Herzwände platzen ließ. Er starrte Marianne groß und sprachlos an und schüttelte den Kopf.
»Sie –«, sagte er endlich.
»Ja. Ich.«
»Donnerwetter. Weiß das Papa?«
»Ja. Darum bin ich beurlaubt.«
»Wegen Mama natürlich.«
»Natürlich.«
»Das ist 'n Ding!« Bert Schumacher fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Sie sind Roses Mutter! Und Sie sind sicherlich heute mitgekommen, um mir auszureden, mit Rose weiter zu sprechen.«
»So ähnlich, Herr Schumacher.«
»Warum sagen Sie Herr Schumacher. Bis heute haben Sie mich immer Bert genannt. Sie kennen mich noch als sehr mittelmäßigen Schüler, dem Sie heimlich mit unleserlicher Handschrift die Fünfen unterschrieben, die eigentlich Papa unterschreiben sollte. Es ist nie 'rausgekommen in der Penne. Und einmal haben Sie sogar –«
»… und jetzt bin ich die Mutter Roses«, unterbrach ihn Marianne. »Das ändert vieles, Bert.«
»Nichts ändert das. Das vereinfacht alle Komplikationen.«
»Nein. Es macht sie unüberwindbar.«
Bert Schumacher trat mit zwei Schritten um Marianne herum, ehe sie dazwischentreten konnte. Er faßte Harriet an den Schultern und riß sie herum. Ihre großen, schwarzen Augen glänzten traurig.
»Begreifst du das, Rose?« rief er.
»Ja«, sagte sie leise.
»Sie sind der Erbe der Schumacher-Werke.« Marianne nahm Berts Hand von Harriets Schulter und drängte sie weg. »Sie haben eine Aufgabe mit in die Wiege gelegt bekommen. Einen fest vorgezeichneten Weg.«
»Ich studiere Medizin. Ich habe keinerlei Interesse an den Fabriken.«
»Sie studieren das Fach, weil es Ihnen Spaß macht und weil Ihr Herr Papa es sich leisten kann, Ihnen diesen Spaß zu gönnen. Sie werden Ihren Dr. med. machen … aber dann werden Sie eines Tages die Fabriken übernehmen. Ob Mediziner oder nicht … es sind Ihre Werke.«
»Was hat das alles mit meinem Privatleben zu tun?«
»Auch Ihr Privatleben ist vorgezeichnet. Man wird es Ihnen verzeihen, daß Sie dreimal geschieden werden und zehn Geliebte haben … aber man wird Ihnen niemals die Geschmacklosigkeit verzeihen, mit einem Halbnegermädchen –«
Harriet-Rose umklammerte Mariannes Arm. »Komm«, sagte sie heiser. Ihre Augen waren wie mit schwarzem Samt überzogen. »Laß uns gehen.«
»Nein!« Bert Schumacher vertrat ihr den Weg, als sie sich abwenden wollte. »Ich bin ein freier Mensch einer freien Generation. Ich lasse mich in keine überlebte Zwangsjacke pressen.« Er trat neben Harriet und hakte sich bei ihr ein. Sie wollte ihm den Arm entreißen, aber er preßte ihn fest an seine Seite. »Arm in Arm fordere ich die Dummheit in die Schranken!« rief er.
Ein paar Passanten verhielten eine Sekunde den Schritt und sahen ihn an. Dann flog ihr Blick zu Harriet und wieder zu ihm zurück.
»Geschmacklos!« sagte eine Dame und ging schnell weiter. Ein Herr schüttelte im Vorbeigehen den Kopf.
»Diese Jugend heute«, sagte er deutlich vernehmbar.
Durch Bert Schumacher jagte eine heiße Welle. Er sprang vor, packte den Herrn am Arm und riß ihn zu sich herum.
»Wo waren Sie 1945?« brüllte er den Erschreckten an. »Los! Sagen Sie es! Überlegen Sie sich keine Lügen! Wo waren Sie 1945? Und 1946? Haben Sie nicht erst eine Uniform getragen und später einen schäbigen Anzug, mit dem Sie an den Straßenecken lungerten und auf die Schwarzmarktgrößen warteten? Haben Sie damals nie eine Camel oder Pall Mall geraucht? Nie eine Fruchtstange gegessen? Nie an einem amerikanischen Keks geknabbert? Nie schwarzen Kaffee getrunken?!«
»Die Polizei!« stammelte der Mann. »Ich rufe die Polizei, wenn Sie mich nicht loslassen, Sie Flegel!«
»Sie elendes Schwein!« Bert stieß den Mann weg. Er taumelte gegen die Brückenbrüstung und hob beide Arme zur Abwehr.
»Polizei!« schrie der Mann. Er fuchtelte mit den Armen herum und versammelte eine Schar Fußgänger um sich, die eine Mauer um ihn bildeten und Bert Schumacher wütend ansahen. »Er hat mich angegriffen! Er hat mich geschlagen! Rufen Sie doch die Polizei! Ein Kerl, der mit einer Negerin …«
»Kommen Sie«, sagte Bert. Er faßte Harriet-Rose wieder unter. Ihr braunes Gesichtchen war fahl. Sie zitterte vor Angst und stand hinter dem Rücken Mariannes. »Wohin?« flüsterte sie.
»Zur Burg.«
»Sie versperren uns ja den Weg.«
»Wir gehen mitten hindurch. Ich möchte den sehen, der mich aufhält.«
Er faßte auch Marianne unter und zog sie mit. Hocherhobenen Hauptes schritt er auf die Menschenmauer zu. Sie stand als schwarze,
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