Die braune Rose
gutmütig und – wie er glaubte – sogar väterlich besorgt.
»Sie müssen das einsehen, Frau Koeberle«, hatte er gesagt. »Der Juniorchef ist nun eben mal der Chef von morgen. Und wenn der mit einer seiner Näherinnen … und dann noch … also, bitte, verstehen Sie mich doch. Die Kleine kann ja nicht dafür, das wissen wir alle … aber sie ist nun mal so … so anders … also, wenn das weitergeht, ist die Autorität beim Teufel. Und ein Chef muß Autorität haben … und wenn das außerdem der Alte erfährt. Na, Sie kennen ihn ja gut genug. Ich habe eine Frau und fünf Kinder, die jeden Tag was auf 'n Tisch haben wollen. Ich kann's mir nicht leisten.«
M arianne nickte stumm. Sie gab dem Meister die Hand, eine schlaffe, traurige Hand, die nicht mehr die Kraft hatte, zu drücken.
Am nächsten Tag ging Harriet-Rose nicht mehr in die Gardinennäherei. Es war eine kurze Aussprache zwischen ihr und Marianne.
»Er war heute wieder im Betrieb«, sagte Harriet-Rose nach dem Abendessen. Sie hatte kaum etwas angerührt … vor sich hinsinnend hatte sie in den Speisen herumgestochert und nur ihr Glas Fruchtsaft ausgetrunken.
»Ich weiß«, sagte Marianne langsam. Rose sah kurz auf. Es war wieder der stumme, fragende Blick, auf den aus den Augen Mariannes die ebenso lautlose Antwort folgte. Rose senkte den Kopf tiefer über den Teller.
»Ach so«, sagte sie leise.
»Ja. Am gleichen Nachmittag noch ließ mich der Meister rufen. Du brauchst morgen nicht mehr in die Fabrik zu gehen.«
Der Kopf Harriets sank tiefer, ihr Kinn lag auf dem Brustbein, die strähnigen Haare fielen ihr über das schmale Gesicht. Ein schwarzer Vorhang, hinter dem sich unendliche Trauer verbarg.
Marianne strich ihr sanft über den zuckenden Nacken. »Wir werden es schon schaffen, Rose«, sagte sie heiser. »Morgen kaufe ich dir eine schöne, neue, elektrische Nähmaschine. Und dann werden wir hier nähen, nach Entwürfen von dir. Du sollst sehen, wie schnell wir soviel Kunden haben, daß wir sie alle gar nicht bedienen können. Eine gute Schneiderin ist immer gesucht. Nicht wahr, das machen wir?«
Harriet-Rose nickte. Sie legte den Kopf auf den Tisch und weinte still.
Als sie am Sonnabend Bert Schumacher trafen und hinauf zur Burg gingen, war Rose schon zwei Tage nicht mehr in der Fabrik. Sie sagten es Bert nicht, obwohl sich Marianne vorgenommen hatte, dieses sinnlose Interesse Berts an Harriet schon im Keim zu ersticken. Allein der Vorfall auf der Neckarbrücke und das mutige Eintreten Bert Schumachers für Harriet hinderten sie daran, so schroff zu sein, wie sie es sein wollte.
Um so mehr zog sich Marianne in eine kalte Abwehr zurück, als es am Montag gegen Mittag an der Tür schellte. Ein stürmisches, langanhaltendes Läuten. Harriet sah ihre Mutter aus großen Augen an.
»Geh ins Schlafzimmer«, sagte Marianne gepreßt. »Es ist besser so, für uns alle.«
Dann öffnete sie. Bert Schumacher stand auf dem Flur, verstört, mit einem merkwürdig verzerrten Gesicht.
»Was ist mit Harriet?« fragte er. Sein Atem jagte, er mußte wie ein Irrer gelaufen sein.
»Kommen Sie herein, bitte.« Marianne ließ Bert Schumacher eintreten. In der kleinen Diele blieben sie stehen. Sie wollte es so kurz wie möglich machen.
»Ich war im Betrieb. Harriet ist nicht mehr dort. Der Meister sagte mir, sie sei einfach nicht mehr gekommen. Was ist los? Ist Harriet krank?«
»Nein. Sie ist ganz gesund, Herr Schumacher.«
Daß Marianne ihn statt Bert wieder Herr Schumacher nannte, bewies ihm den Ernst der Situation.
»Aber warum?« Bert lehnte sich an die Wand und verkrampfte die Finger ineinander. »War … war etwa meine Mutter hier? Hat sie erfahren, wer Harriet ist? Bitte, sagen Sie mir alles, Koeberle.«
»Es ist nichts, gar nichts.« Marianne schüttelte den Kopf. »Es hat alles nur keinen Sinn.«
»Wenn etwas sinnlos ist, dann ist es diese Ansicht«, schrie Bert. »Seit dem Gespräch mit meiner Mutter weiß ich, daß ich Rose liebe.«
»Das ist verrückt, Bert!« rief Marianne. In ihre Augen trat ehrliches Entsetzen. »Vergessen Sie diesen Unsinn.«
»Ich möchte mit Rose selbst sprechen.«
»Sie lehnt es ab, darüber zu reden.«
»Ich möchte sie selbst fragen.«
»Nein!« sagte Marianne hart.
Bert Schumacher atmete tief durch. »Gut«, sagte er gepreßt. »Dann werde ich wie ein Hund unten vor der Tür liegen und warten, bis Harriet einmal herunterkommt. Und wenn es Tage dauert … ich werde warten! Einmal muß sie ja herunterkommen.
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