Die braune Rose
erholen!« schrie Schumacher.
»Und dann?«
»Ich werde einen Ausweg finden«, sagte Schumacher dumpf. »Verlassen Sie sich darauf … ich werde etwas finden. Ich muß mich erst an die neue Situation gewöhnen.«
Marianne nickte mehrmals. »Gut«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich gehe. Aber ich glaube nicht, daß wir uns wiedersehen, Herr Direktor.«
»Es wird einen Ausweg geben, Koeberle.«
Marianne schüttelte wild den Kopf. »Ich will keinen Ausweg … ich will einen geraden Weg. Ich will kein Versteckspielen mehr, ich habe mich nicht zu schämen für eine Minute, die vor siebzehn Jahren geschah. Ich war damals genau so alt, wie Rose jetzt ist. Ich wußte gar nicht, was mit mir geschah … es war nur furchtbar für mich, unbegreiflich, Minuten, in denen ich glaubte, sterben zu müssen.« Und plötzlich schrie sie, faßte Schumacher an den Rockaufschlägen und schüttelte ihn. »Warum soll ich dafür bestraft werden? Warum will man mein Kind dafür ausstoßen?«
Sie ließ Schumacher los und rannte aus dem Zimmer. Schumacher lehnte sich schwer gegen seinen Schreibtisch und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
Im Nebenraum erhob sich Harriet-Rose vom Stuhl. Ihr braunes Gesichtchen war fahl … aber ihre Augen leuchteten schwarz und ihre Lippen lächelten verkrampft. Sie drückte auf eine Taste des Sprechapparates und schob ihn weg.
Marianne lehnte bleich an der zugeworfenen Polstertür.
»Was … was hast du gemacht?« stammelte sie.
Harriet-Rose kam langsam auf Marianne zu und schlang den Arm um ihre Schulter.
»Ich habe alles mitangehört.«
»Rose!« stöhnte Marianne. Sie spürte, wie sie in den Knien einknickte. Harriet hielt sie fest und küßte sie auf die zitternden Augen.
»Du hast dich fabelhaft benommen, Mutti. Ich bin so stolz auf dich. Komm, laß uns gehen.«
Arnold Schumacher stand vornübergebeugt an seinem Schreibtisch. Er hörte die Worte mit. Wie Hammerschläge fielen sie über ihn. Er stellte den Sprechapparat ab und drückte das Taschentuch gegen seine Stirn.
»Bin ich ein Schwein?« sagte er tonlos. »Ja … ich bin ein elendes, feiges Schwein.«
3.
Sie fuhren nicht in Urlaub, obgleich die Firma A. Schumacher u. Co. Möbelfabriken in Heidelberg, Marianne die Urlaubsbestätigung und das Geld mit der Post zuschickte.
Sie blieben in Heidelberg. Und sie vollbrachten etwas, was Marianne eine kleine Genugtuung war: Der Meister der vom Hauptbetrieb getrennten Polster- und Dekorationsnäherei der Firma Schumacher u. Co. stellte Harriet-Rose als Deko-Näherin ein.
»Natürlich bleibt das unter uns«, sagte er und gab Rose die Hand. »Wen geht das auch was an? Die Hauptsache, Ihre Tochter näht gut. Stundenlohn im Anfang 2,25. Einverstanden?«
So kam Rose in den Nähsaal der Firma und saß täglich acht Stunden an der Nähmaschine. Sie nähte Säume und Durchzugschlaufen. Tag für Tag nur Säume. Kilometer von Säumen. Aber sie war glücklich und fröhlich. Die anderen Mädchen im Nähsaal waren wie die Mädchen im Waisenhaus. Sie betrachteten Harriet-Rose wie eine der ihren, sie kümmerten sich nicht um die Hautfarbe.
An einem Nachmittag änderte sich das.
Unverhofft, ungewollt, erschreckend, wie alles Naturhafte.
Ein junger, blonder Mann kam in die Halle und suchte den Nähsaalmeister. Dabei trafen sich ihre Blicke, und Harriet-Rose und Bert Schumacher erkannten sich sofort.
Sie sahen sich an … weit voneinander entfernt … aber unter ihren Augen schrumpfte die Entfernung zusammen, und sie spürten, wie sie sich nah waren, ganz nah.
So begann für Harriet-Rose ein neuer Tag, und er wurde in ihr glühend heiß wie ein Wüstentag, als Bert Schumacher auf sie zukam.
Vornübergebeugt saß sie an der Maschine und nähte ihren Saum.
»Kennen wir uns nicht?« fragte Bert Schumacher. In seiner Stimme schwang eine ehrliche Wiedersehensfreude. Einige Mädchen blickten von ihren Maschinen auf und kicherten. Der Meister, in einem Glaskasten am Ende des Saales, von wo aus er die gebückten Rücken und die über den ratternden Nähmaschinen gebeugten Mädchenköpfe übersehen konnte, erhob sich und trat an die große Glasscheibe seiner Kabine.
Nanu, dachte er und kratzte sich die Oberlippe. Der Sohn des Alten. Entweder gibt das jetzt einen wilden Stunk in der Bude, oder die Sache läuft anders herum … das kann noch schlechter werden.
Harriet-Rose hob den Kopf. Sie stellte die elektrische Nähmaschine ab und raffte den Gardinenstoff zusammen. Der Saum war fertig … vom Fließband
Weitere Kostenlose Bücher