Die braune Rose
Ohr an die Tür, aber sie hörte nichts außer einem leisen Klappern, einem Klirren von Glas und dem Rücken eines Schemels.
Vorsichtig öffnete sie die Tür um einen Spalt und sah in das hellerleuchtete Zimmer. Was sie sah, ließ sie die Tür weit aufstoßen. Polternd krachte sie gegen die Wand.
Harriet-Rose saß vor dem Spiegel auf dem Schemel. Sie hatte ein Kopftuch umgebunden und damit ihre schwarzen Haare verdeckt. Das braune Gesicht hatte sie mit Creme eingefettet und auf dieses Fett eine dicke weiße Puderschicht aufgetragen.
Mit aufgerissenen Augen starrte sie ihr Spiegelbild an. Die Fratze eines weißen Gesichtes, fremd, verzerrt und maskenhaft.
»Harriet!« schrie Marianne und riß sie auf dem Schemel herum. »Was machst du denn?«
Harriet-Rose schloß die Augen. Sie wehrte sich nicht, als Marianne sie vom Schemel riß, sie zur Badewanne stieß und mit einem nassen Schwamm den Puder verschmierte und abzuwischen versuchte.
»Ich wollte sehen, wie ich weiß aussehe, Mutti«, sagte sie, als Marianne keuchend innehielt und sich auf den Wannenrand setzte. »Aber ich gefalle mir gar nicht. Ich bin weiß so häßlich.«
»Du bist die Schönste, die Allerschönste«, stammelte Marianne. Sie nahm wieder den Schwamm, rieb Seife darauf und schrubbte das Gesicht Harriets. Als die braune Haut wieder sichtbar war, warf sie den Schwamm weg und zerrte Harriet wieder vor den großen Spiegel.
»Sieh dich an!« rief sie gepreßt. »Das bist du! Nicht anders! Und darauf solltest du stolz sein! Du bist das schönste braune Mädchen, das es gibt.«
4.
Am nächsten Morgen erschien Besuch.
Marianne und Harriet saßen noch beim Kaffeetrinken und lasen die Zeitung, als es klingelte. Der letzte Teil der Nacht war ruhig verlaufen. Harriet war erschöpft eingeschlafen. Am Morgen schien es, als sei diese innere Krise nie gewesen. Sie hatte den Tisch gedeckt und den Kaffee bereits gekocht, als Marianne aus dem Bad kam.
»Heute kaufen wir die Nähmaschine, Kleines«, hatte Marianne gesagt. »Und ich werde morgen versuchen, eine andere Stellung zu bekommen. Sekretärinnen sind gesucht.«
Harriet aß sogar ein Brötchen mit Honig, obwohl sie an ihm würgen mußte. Aber sie tat es, um Marianne einen Gefallen zu tun.
Als es an der Tür klingelte, sahen sich Marianne und Harriet fragend an.
»Ich gehe und mache auf«, sagte Marianne. »Er ist es bestimmt nicht, ich weiß es. Es kann die Post sein.«
Es war nicht die Post. Vor der Tür stand breit und jovial lächelnd, den Hut etwas in den Nacken geschoben und schwitzend von dem ungewohnten Treppensteigen, Arnold Schumacher. Er fächelte sich mit einem Taschentuch Luft zu und schien in bester Laune zu sein.
»Koeberle!« rief er laut. »Altes Mädchen! Sie müssen ins Parterre ziehen. Das hält ja ein neudemokratischer Erfolgsmensch gar nicht aus, vier Treppen hochzuklettern. Darf ich 'reinkommen?«
»Bitte, Herr Direktor.« Marianne trat zur Seite. Arnold Schumacher ging in die Diele. Schnuppernd hob er die Nase.
»Kaffee! Wie das duftet! Koeberle, seit Sie in Urlaub sind, kocht mir die alte Schmidt eine labbrige Brühe, die ihr ureigenstes Geheimnis sein muß. Ich kann Ihnen sagen – also, einen Kaffee bekomme ich doch?! Wieder einen echten Koeberlekaffee. Wie geht's Ihnen denn?«
Er hing seinen Hut an den Garderobenhaken und tupfte sich den Schweiß aus den Augenhöhlen. »Wir haben allerhand zu besprechen«, sagte er und blinzelte Marianne zu.
»Ich wollte morgen sowieso zu Ihnen kommen, Herr Direktor.« Aus dem Zimmer hörte man das Klappern von Tassen und Tellern und eilige, hin und her laufende Schritte. Harriet-Rose räumte schnell den Kaffeetisch ab. Arnold Schumacher nickte zur Wohnzimmertür.
»Ihre Tochter?«
»Ja.«
»Auch darüber müssen wir sprechen.«
»Das wird nicht mehr nötig sein.« Mariannes Gesicht war verschlossen. Arnold Schumacher betrachtete sie verwundert. Sie hat sich verändert, stellte er fest. Die jugendliche Fröhlichkeit, die ich an ihr so liebte, ist weg. Merkwürdig, wie sich ein Mensch in knapp vier Wochen so verändern kann.
»Sie wollen auch über Bert reden, nicht wahr?« fragte Marianne hart. Arnold Schumacher nickte wieder.
»Es hat bei uns –«, setzte er an, aber Marianne unterbrach ihn schroff.
»Auch dieses Thema können wir weglassen, Herr Direktor. Ich habe Bert die Tür gezeigt.«
»Was? Sie haben meinen Sohn hinausgeworfen?« Schumacher trat einen Schritt zurück und musterte Marianne mit unverhohlenem Erstaunen.
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