Die braune Rose
nächste Woche, wo ich noch hier!«
»Das geht nicht.« Koeberle sah es als seine Pflicht an, wenigstens in juristischer Hinsicht Marianne und Harriet zu helfen. »Die deutsche Verwaltung –«
»Scheiße auf deutsche Verwaltung!« schrie Shirer. »Ich will!«
»Die deutschen Gesetze –«
»Ich will!« schrie Shirer eigensinnig. Er tippte Koeberle gegen die Brust, was dieser wie Stiche mit einem stumpfen Messer empfand. »Sie sorgen dafür, Stadtrat!«
»Unmöglich.« Koeberle retirierte nach rückwärts, aus dem Bereich von Shirers Händen.
»Oh, diese Gesetze.« Shirer sah Bert Schumacher entgegen, der aus seiner Ecke hervorkam und seinen Anzug herrichtete. »Warum erst in sechs Jahren, he?« schrie Shirer ihn an.
»Erst muß ich Geld verdienen.«
»Geld! Geld habe ich. Alle mit nach Alabama. Geld. Wie dumm!« Shirer griff in die Brusttasche und warf ein dickes Bündel Dollarscheine auf den Tisch. Koeberle, von Berufs wegen an schnelles Rechnen gewöhnt, überschlug die Summe mit etwa fünftausend Mark. »Ich habe im Jahr viele tausend Dollar … viele tausend.« Shirer hielt seine zehn Finger hoch und wedelte sie nach vorn. Jedes Wedeln sollten zehntausend Dollar sein. »So viel!« schrie er. »Es gehört euch! Nur mitkommen nach Alabama.«
»Nein«, sagte Harriet-Rose nüchtern. »Ich wollte meinen schwarzen Vater sehen … das habe ich nun getan. Wir bleiben hier, aber da du mein Vater bist, hast du die Pflicht, dich um uns zu kümmern. Du brauchst es nicht, keiner kann dich zwingen … aber ich glaube, daß ich einen anständigen Vater habe.«
Shirer sackte in sich zusammen. »My sweety«, sagte er weinerlich. »Daddy alles tut für dich.«
»Dann wollen wir nachher genau besprechen, was zu machen ist.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Bert Schumacher einen Kuß. »Erst wollen wir fröhlich und glücklich sein. Wir alle, nicht wahr?«
Es wurde ein schöner Tag, allerdings nicht für den Stadtrat Koeberle.
Shirer verlangte nun, das Schloß zu sehen. Den Neckar, die Stadt, den Bahnhof. Mit dem Würzburger Dienstwagen fuhren sie herum, und Koeberle hatte die unangenehme Aufgabe, in aller Öffentlichkeit die Sehenswürdigkeiten zu erklären. Auf der Neckarbrücke blieben die Leute stehen und starrten die kleine Gruppe an. Einige, das sah man, kannten Marianne und Harriet-Rose. Auch Ernst Pachtner kam zufällig vorbei und bremste seinen Wagen ab, als er Bert Schumacher in der Gruppe sah, untergehakt bei Harriet.
»Das ist ja doch die Höhe«, sagte er laut zu sich selbst. »In aller Öffentlichkeit. Daß sich der Junge nicht schämt.«
Ohne Umwege fuhr Pachtner weiter zu den Schumacherwerken, um den neuen Skandal zu berichten.
Am Abend hatte Koeberle große Mühe, Shirer wieder nach Würzburg zu bringen. Er wollte in Heidelberg bleiben und auf dem Teppich schlafen. Nur die ständige Mahnung, daß ein Bankett im Würzburger Rathaus stattfinde und er als Vertreter der USA nicht fehlen dürfe, konnte Shirer bewegen, mitzufahren.
»Ich komme wieder!« schrie er noch auf der Straße, während er in den Wagen stieg. In den Fenstern hing neugierig die Nachbarschaft und genoß diesen Anblick. »Und du bleibst da und paßt auf!« Er nahm in einer Aufwallung von schwiegerväterlichem Stolz plötzlich den Kopf Berts in beide Hände und küßte ihn auf beide Backen. Die Nachbarschaft registrierte dieses Schmatzen mit Wonne, teils mit herabgedrücktem Mißfallen. »Du sie beschützen«, sagte Shirer ernst. »Es muß ein Mann da sein, my boy, die Welt ist wie ein Rugbyplatz … überall wird man getreten und geschlagen. Paß auf, boy, auf meine Harriet.«
Bert Schumacher nickte. Sie winkten dem großen schwarzen Wagen nach und gingen dann ins Haus zurück.
*
Am fünften Tag flog Shirer zurück in die USA. Es wurde nicht ein turbulenter Abschied mit viel Gebrüll und Ermahnungen. Shirer hatte in schlaflosen Nächten eingesehen, daß es besser für Harriet und Marianne war, in Deutschland zu bleiben. Was sie in Alabama erwartete, war die Hölle gegen das, was sie in Deutschland an Widerwärtigkeiten auszustehen hatten. Es würde keinen weißen Geschäftsmann geben, der Marianne bediente, weil sie die Frau eines Negers war. Man würde ihnen die Scheiben einwerfen, die Autoreifen aufschlitzen, sie aus dem Hinterhalt mit Steinen bewerfen.
Vier Nächte lang hatte er sich mit den Zähnen knirschend im Bett gewälzt und hatte seine hilflose Wut gegen die Decke und gegen die Wand geflucht. Dann hatte
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