Die braune Rose
Faust auf den Tisch.
»Und den suche ich!« schrie er.
»Wen?« fragte Koeberle ahnungsvoll.
»Diesen Mann! Diesen Koeberle! Er hat weggeworfen meine Anne, weil sie hat Kind von mir! Oh!« Shirer ballte die Fäuste. »Ich finde ihn!«
»Und … und dann –«
»Ich werde ihn zerdrücken wie eine Laus!« brüllte Shirer.
Koeberle glaubte es. Er sah Marianne wieder flehend an. Sie schüttelte leicht den Kopf. Er tat ihr leid in diesen Minuten. Wie leicht war es, ihm jetzt fünfzehn Jahre von Leid und Elend zu vergelten? Es bedurfte nur eines Wortes. Shirer würde nicht zögern, den kleinen, dicklichen Stadtrat Koeberle wie eine junge Katze an die Wand zu werfen.
»Uo ist er jetzt?« sagte Shirer grollend.
»Ich weiß nicht. Ich habe ihn seit vierzehn Jahren nicht mehr gesehen«, sagte Marianne. Dankbar atmete Koeberle auf. Sie ist doch eine gute Frau, dachte er.
Shirer legte den Arm um Harriet und zog sie an sich.
»Ich werde ihn finden. Ich habe seinen Namen. Wer hat Namen in Deutschland, den man findet.«
»Lassen … lassen wir doch die alten Sachen ruhen«, versuchte Koeberle einzulenken. »Sie müssen das verstehen, Sir. Wenn Sie an die Stellung der … der Farbigen in Ihrer eigenen Heimat denken … gerade in Alabama …«
»Wir werden unsere Bürgerrechte bekommen!« schrie Shirer.
»Natürlich. Wie man sich in einem freien Land, wie es Amerika ist, Ihnen gegenüber benimmt … es ist skandalös! Erst neulich hat man einen Geistlichen verhaftet, weil er für die Freiheit der Farbigen predigte. Wie einen Raubmörder hat man den dunklen Reverend in den Polizeiwagen gestoßen.«
»Ich weiß.« Harry Bob Shirer drückte Harriet an sich, als wollte man sie steinigen, und er müsse sie schützen. »Aber ich werde ein Beispiel geben. Ich werde zurückkommen mit meiner Anne und meinem little darling Harriet.«
Das war es, was Marianne die ganze Zeit über gefürchtet hatte. Das war der festumrissene Plan Shirers. Für ihn war es selbstverständlich, daß seine Tochter mit ihm zurück nach Alabama fuhr. Und Marianne ebenfalls. Sie war die Mutter, sie gehörte zu ihm wie zu Harriet … sie waren eine Familie, die man nicht mehr trennen konnte. Er hatte seine Drugstores, eine sogenannte Verkaufskette, sechzehn Läden, verstreut über ganz Alabama, die von einer Zentrale aus versorgt wurden. Es gab keine Not mehr. Harry Bob Shirer war ein reicher Mann. Er hatte seine Boxergagen Dollar für Dollar angelegt.
Das einzige, was er nicht anlegen konnte, war seine Gleichberechtigung gegenüber den Weißen. Selbst ein Bettler in Alabama, der zerlumpt in der Gosse lag und als Arbeitsscheuer in der Schlange stand, die sich langsam durch den Speisesaal einer religiösen Sekte schob, wo es eine Kelle voll Suppe gab, hatte mehr Rechte, wenn er ein Weißer war. Selbst er würde jeden Nigger wegjagen, der es wagen würde, sich neben ihn auf eine Bank zu setzen, auf der nur weiße Amerikaner sitzen durften. Zwar nahm er den Dollar Shirers an – denn ein Dollar ist weder schwarz noch weiß –, aber nie hätte es Shirer wagen können, neben ihm an einer Theke zu stehen und den Dollar mit ihm zu vertrinken. Dafür gab es Lokale nur für Weiße und nur für Schwarze.
Und nun würde es Harry Bob Shirer wagen, zurückzukommen nach Alabama mit einer weißen, blonden Frau und einem braunen Kind, das statt kleiner, krauser Locken, lange strähnige, schwarze Haare hatte. Ganz Gadsden würde auf den Beinen sein, dies anzusehen. Und er wollte allen zeigen, wie glücklich man sein kann.
»In vier Tagen«, sagte Shirer und lächelte breit. »Uir fliegen über Nordpol.«
Eduard Koeberle schielte zu Marianne. Er glaubte, sie trotz ihrer kurzen Ehe so gut zu kennen, daß sie nie nach Alabama mitging. Auch Harriet-Rose sah erschrocken zu Marianne, als Shirer von der Reise nach Alabama sprach. So überwältigt sie im ersten Augenblick gewesen war, daß ihr Vater plötzlich vor ihr stand, so erschreckend kam ihr jetzt in den Sinn, daß damit keine Lösung des Problems geschaffen worden war, sondern vielmehr erst ein Problem aufgerissen wurde.
Mitkommen nach Alabama! Auch in Alabama würde es sein wie hier, nur noch viel, viel schlimmer. Dort war sie ein Mischling, vor dem sich alle Türen schlossen.
»Wir bleiben hier!« sagte Harriet fest, ehe Marianne mit ihren Gedanken klarkam und eine Antwort finden konnte. Shirer ließ Harriet los.
»No!« rief er. »Ihr mitkommen!«
»Nein.«
»Ich daddy!«
»Das schon. Aber auch bei dir werde
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