Die braune Rose
der Beginn. Eine Hexenjagd endete mit dem Feuertod … der moderne Mensch kennt dafür andere Methoden. Er macht eine Anzeige bei der Behörde. Bei der Steuer und beim Gewerbeamt. Das genügt vorerst. Wer die Behörden gegen sich hat, ist so gut wie ein toter Mann.
Bei Marianne Koeberle erschienen eines Morgens zwei Herren. Sie zeigten ihre Legitimation und nahmen um den Tisch Platz. Harriet-Rose stand im Hintergrund. Wenn sie vom Jugendamt sind und wollen mich wegholen, springe ich aus dem Fenster, dachte sie. Dazu fest entschlossen, schob sie sich näher an das Fenster heran und stellte sich daneben.
»Wir haben erfahren, daß Ihre Tochter –«, er blickte zu Harriet – »ohne Gewerbeanmeldung eine Schneiderei betreibt!«
»Ja, sie näht«, sagte Marianne. Nach dem Vorfall an der Hauswand hatte sie sich Urlaub genommen. Sie wollte bei Harriet sein, wenn weitere Angriffe erfolgen sollten.
»Ohne Gewerbe.«
»Sie hat im Waisenhaus in Konstanz Nähen gelernt.«
»Mag sein … aber sie hat keine Gesellenprüfung. Von Meister wollen wir gar nicht sprechen, dazu ist sie noch zu jung. Sie wissen, daß niemand ohne Gewerbeanmeldung –«
»Sie wollte Geld verdienen.«
»Man nennt das Schwarzarbeit.«
»Steuerhinterziehung auch noch«, sagte der andere Beamte. »Aber auf dieses Kapitel kommen wir noch.«
»Sie hat Freude an der Schneiderei. Sehen Sie sich diese Zeichnungen an. Dort, an der Wand. Alles eigene Entwürfe. Sie ist begabt. Sie hat Geschmack. Sie kann mit ihren sechzehn Jahren schon mehr als andere.«
Der Beamte hob beide Hände. »Es geht hier nicht um Begabung und Können, sondern lediglich darum, daß Ihre Tochter mit sechzehn Jahren ohne abgeschlossene Ausbildung keinen selbständigen Beruf ausüben darf. Sie hat das Gewerbe nicht angemeldet – was auch sinnlos gewesen wäre, denn wir hätten es auf Grund unserer Bestimmungen nie erteilen können – aber sie hat trotzdem gearbeitet. Uns ist bekannt: Drei Kleider, ein Kostüm, zwei Sommermäntel … aber das ist ein geringer Teil. Der Tatbestand der Schwarzarbeit ist also gegeben. Das sehen Sie doch hoffentlich ein?«
»Nein«, sagte Marianne laut.
»Wieso? Haben Sie die Einnahmen wenigstens versteuert?«
»Sie liegen unter dem Steuerminimum.«
»Das zu beurteilen, ist Sache des Finanzamtes. Haben Sie der Steuer überhaupt gemeldet, daß hier Geld eingenommen wird?«
»Nein.«
»Aha!« Der Beamte machte sich einige Notizen an den Rand seiner Akten. »Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß Sie eine Klage bekommen. Sie haben ab sofort die Schneiderei einzustellen! Ohne Gewerbe ist das strafbar.«
»Aber Harriet kann doch nähen.«
»Was sie kann, ist wurscht. Sie ist erstens zu jung und zweitens hat sie keine Abschlußprüfung gemacht, eben weil sie zu jung ist.«
»Dann war es ja ein Verbrechen, daß Mozart mit sieben Jahren schon Sonaten komponierte«, sagte Bert Schumacher.
Der Beamte fuhr herum. »Wer sind denn Sie?«
»Stud. med. Bert Schumacher.«
»Natürlich die Studenten. Immer in Opposition gegen den Staat. Ihren dummen Mozart lassen Sie mal weg. Das war Kunst.«
»Aber eine Arbeit.«
»Kunst ist eine freiberufliche Tätigkeit, die steht nicht in der Gewerbeordnung und Zulassungsverfügung. Daß Kunst Arbeit ist, ist lediglich eine Ansicht des Finanzamtes. Das geht uns wiederum nichts an. Von uns aus kann die kleine Braune soviel zeichnen, wie sie will … aber wenn sie die Modelle näht, wird's Gewerbe. Verstehen Sie?«
»Leidlich. Es ist schwer, einen deutschen Beamten im Dschungel seiner Verfügungen und Gesetze zu verstehen.«
Die Beamten erhoben sich steil und packten die Akten ein. Sie hatten es nicht nötig, zu diskutieren. Sie vertraten ein Gesetz. »Alles weitere wird Ihnen schriftlich zugehen«, sagte der eine und grüßte kurz. In der Tür blieb er stehen und fügte jovial hinzu: »Wir können sogar, wenn weitergearbeitet wird, die Nähmaschine beschlagnahmen. Und Gefängnis gibt es auch. Also bitte … seien Sie vernünftig. Es wird schon Ärger genug geben.«
»Die Anzeige kam von Heidi Pachtner«, sagte Harriet, als sie wieder allein waren.
»Unmöglich.« Bert schüttelte den Kopf. »Dazu halte ich sie nicht für fähig.«
»Ich habe nur ein einziges Kostüm genäht, und das war für Heidi Pachtner.«
Ohne ein weiteres Wort nahm Bert Schumacher seinen Hut und lief aus der Wohnung. Marianne schüttelte Harriet an den Schultern.
»Warum hast du das getan?« rief sie. »Jetzt fährt er zu ihr
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