Die braune Rose
hinter dunkelroten, aufgeworfenen Lippen.
»Vater –«, sagte sie leise.
Durch Shirer ging es wie ein Schlag. Er ließ alle Pakete fallen. Mit ausgebreiteten Armen trat er einen Schritt auf Harriet zu und riß sie an seine breite Brust.
»Darling!« schrie er, als müsse er sechzehn Jahre mit einem einzigen Schrei auslöschen. »My darling! My … my …« Er konnte nicht weiterbrüllen. Sein wolliger Schädel sank auf die schwarzen strähnigen Haare Harriets, und dann weinte er. Schluchzen schüttelte die Riesengestalt.
»Warum … warum hast du ihn hierhergebracht?« flüsterte Marianne zu Koeberle. Sie hatte sich wieder gefaßt und stand schweratmend in der Diele.
»Er hat es verlangt!«
»Er? Aber er wußte doch gar nicht, wo ich wohne.«
»Ich doch auch nicht. Er verlangte heute morgen, daß wir nach Heidelberg fahren. Ich hatte keinerlei Ahnung, wohin er wollte und wer er ist. Ich schwöre dir …« Koeberle betupfte sich das Gesicht mit einem weißen Taschentuch. »Du kannst dir denken, wie peinlich es mir ist – auch noch als offizieller Vertreter der Stadt –«
»Weiß er, wer du bist? Wie du zu mir standest?«
»Bei Gott, nein! Wir wollen das vermeiden. Wozu soll er es wissen?«
»Du hast Angst, nicht wahr?«
Koeberle sah Marianne aus flehenden Augen an. Sie gaben die Antwort, eine elende, feige Antwort.
»Wozu noch alles komplizieren?« sagte Koeberle heiser. »Nur ich und du wissen … auch Harriet kennt mich ja nicht …« Er sah auf das Mädchen, das mit geschlossenen Augen an der Brust Shirers lag. »Ein … ein nettes Mädchen«, sagte Koeberle leise. »Wirklich, ein schönes Mädchen.«
Shirer enthob Marianne einer Antwort. Er wandte sich zu ihr und hob den Kopf. »Bist … bist du böse?« fragte er kindlich.
»Warum?«
»Weil ich kommen erst jetzt.«
»Warum bist du überhaupt gekommen?«
»Der Brief, Anne –«
»Welcher Brief?«
Harriet-Rose blickte auf. Ihre Augen leuchteten. »Nicht böse sein, Mutti«, sagte sie flehend. »Ich habe geschrieben. Damals, als diese Heidi hier war. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Da habe ich nach Amerika geschrieben. Sie werden ihn schon finden, habe ich gedacht. Und sie haben ihn gefunden«, fügte sie glücklich hinzu.
Marianne hob die Schultern. »Ich wußte wirklich nichts davon.«
»Du – nie geschrieben?« fragte Shirer stockend.
»Nein. Warum?«
»Ich sein Vater von Harriet.«
»Du hast es nie gewußt und hättest es auch nie von mir erfahren. Warum auch? So wie das Leben damals war –«
»Aber später«, sagte Koeberle.
»Später? Da glaubte ich, Halt an einem Mann zu haben. Aber auch das war ein Irrtum.«
In Koeberle stieg heiß die Angst hoch. »Lassen wir das«, sagte er gepreßt. »Es war wirklich eine dumme Zeit.«
»Dumm ist dafür ein mildes Wort. Es war eine grausame Zeit. Eine grausam hungrige Zeit. Heute ist sie nur noch grausam.«
Sie ging voraus in das Wohnzimmer. Die anderen folgten ihr. Koeberle sah sich um. Eine nette Wohnung, dachte er. Nicht wie seine Zimmer, pompös und Visitenkarte eines Innenarchitekten. Hier war alles persönlich … die Blumen in der Vase, die Bilder, die gelesenen Bücher, die gerafften Gardinen, die Tischdecke. Plötzlich kam er sich arm und ausgestoßen vor.
Koeberle setzte sich. Er zog dabei den Kniff seiner Hosen hoch und legte seinen schwarzen Homburghut neben sich auf den Teppich, so wie man früher neben sich einen Zylinder abstellte. Harry Bob Shirer türmte die Päckchen auf den Tisch und begann, auszupacken.
Später, nach einem Kaffee, saßen sie um den Tisch zusammen. Harry Bob Shirer hielt die Hand Harriets in seiner schwarzen Pranke. Er hatte ganz klare Vorstellungen, wie es weitergehen sollte, im Gegensatz zu Marianne und Eduard Koeberle, die mit der Situation innerlich nicht fertig wurden.
»Das ist so«, sagte er gemütlich und kaute an einem Stück Kuchen, das er selbst mitgebracht hatte. »Ich will erst suchen eine Mann.«
»Einen Mann?« Koeberle ahnte neue Komplikationen, neue Fahrten durch Deutschland, neue Überraschungen.
»Welchen Mann?«
»Hier.« Shirer holte den zerknitterten Brief Harriets aus der Tasche. »Hier schreibt mein Darling: ›… Heute heißt sie Koeberle‹ – Das ist Anne –, ›Ihr Mann hat sich wieder scheiden lassen, Deinetwegen, und weil ich auf der Welt bin …‹«
»Das hast du geschrieben, Rose?« sagte Marianne und wurde blaß. Harriet blickte zu Boden, etwas wie Trotz war in ihrer Haltung. Shirer hieb mit der riesigen
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