Die braune Rose
hin.«
»Ja«, sagte Harriet mit fiebrig glänzenden Augen.
»Es wird nur noch mehr Aufregungen geben.«
»Er soll sie schlagen«, sagte Harriet wie in einer Trance. »Schlagen soll er sie … immer ins Gesicht … wie sie mich geschlagen hat.«
»Und was wird daraus entstehen? Neue Anfeindungen, neue Anzeigen, neue Erregung. Willst du das denn?!«
»Ja!« Plötzlich schrie sie. Sie riß sich von Marianne los und stürmte in die Mitte des Zimmers. Hochaufgereckt stand sie da, die Fäuste geballt, mit zerwühlten, langen Haaren. »Ja!« schrie sie noch einmal. »Soll ich mir alles gefallen lassen, nur weil ich nicht weiß bin? Ich werde Rache nehmen, wo ich nur kann, ich werde wiederschlagen, wenn man mich schlägt, ich werde beißen, wenn man mich kratzt! ich will nicht mehr still sein! Nie mehr! Ich habe ein Recht, zu leben, wie die Weißen es haben! Ich will nie, nie, nie, nie mehr still sein!«
Marianne wandte sich ab und lehnte die Stirn an das Fenster. »Daran werden wir zugrunde gehen«, stammelte sie. »Die anderen sind stärker. Sie werden sich nicht mit dir schlagen, dazu sind sie zu feig. Sie machen es in der Stille, sie höhlen uns aus, bis wir wie hohle Schalen auseinanderfallen. Sie werden uns seelisch töten.«
»Nie, Mutti, nie!« schrie Harriet-Rose.
Doch dann weinte auch sie, aber mehr aus Wut als aus Leid. Die Hinterhältigkeit des Menschen, jene Charaktereigenschaft, die am meisten gepflegt wird, spürte sie in ihrer ganzen ekelhaften Unangreifbarkeit. Und zum erstenmal in ihrem Leben sagte sie etwas, was aus der innersten Tiefe hervorquoll:
»Man sollte sich aufhängen, Mutti.«
Mit einem Schrei stürzte Marianne zu Harriet und riß sie schützend in ihre Arme.
*
Der Hauswirt hatte die Räumungsklage eingereicht. Er hatte eine gute Begründung. Ein neuer Mieter zahlte monatlich hundert DM mehr Miete, weil er die Räume gewerblich übernahm. Der Mieter – er wurde in der Klage nicht genannt – war Fabrikant Ernst Pachtner. Auf Betreiben Heidis hatte er den Hauswirt angerufen und ihm – ganz gleich, wie es auslief – immer hundert DM mehr geboten über dem Mietsatz, den die Familie Koeberle akzeptieren konnte. Es war ein aussichtsloses Wettrennen. Der Blankoscheck Pachtners würgte alles ab.
Bert Schumacher ging auf die Suche nach einer neuen Wohnung. Dreimal hatte er etwas gefunden, aber jedesmal, wenn Marianne und Harriet sie besichtigt hatten, kam ein Absagebrief. Höflich, freundlich, mit großem Bedauern, aber deutlich genug.
Nach drei Wochen konnte Bert ein kleines Haus mieten. Es lag außerhalb Heidelbergs, direkt in den Neckarauen. Ein schöner, weißgestrichener, kleiner Bungalow mit einem Gärtchen und einer riesigen Linde. Die Miete sollte monatlich fünfhundert DM betragen.
»Das geht nicht«, sagte Marianne. »Dann bleiben uns zum Leben kaum zweihundert DM. Und du wirst sehen, auch dort werfen sie uns hinaus.«
»Nein.« Bert Schumacher war zuversichtlich. »Der Besitzer ist ein Schweizer. Er ist empört über die Borniertheit der Deutschen. Ich habe ihm alles erzählt.«
»Aber fünfhundert DM Miete. Das ist doch Irrsinn.«
»Ich werde mit meinem Vater sprechen«, sagte Bert. »Er ist ein vernünftiger Mann … nur darf er es nicht zeigen. Ich weiß, daß er helfen wird.«
Eine Woche später zogen sie um in den kleinen Bungalow am Neckar. Arnold Schumacher hatte geholfen. Er hatte die Miete für ein halbes Jahr im voraus bezahlt. Niemand erfuhr es … unter einem Decknamen überwies er den Betrag auf die Schweizer Bank. Als er von dem Umzug hörte, schimpfte er sogar in Gegenwart seiner Frau und nannte seinen Sohn einen Vollidioten, der sein sauer verdientes Geld als Werkstudent den Koeberles zusteckte.
»Es muß doch ein Gesetz geben, das zu verbieten«, jammerte Erika Schumacher fortgesetzt. »Es muß doch irgend etwas geben, das diese Neger in Grenzen hält.«
Arnold Schumacher hob resignierend die Schulter. »Bert ist großjährig«, sagte er. »Da kann man gar nichts mehr machen.«
Am Tage des Einzuges hatten unbekannte Hände in den Vorgarten des kleinen Bungalows ein Schild gerammt.
›Haus Negerkuß‹ stand darauf.
Bert Schumacher ließ das Schild stehen. Als die Möbel eingeräumt waren und die Möbelpacker abgefahren waren, riß Bert das Schild aus dem Boden, knickte den Stiel ab und schlug es mit Nägeln an den Vorgartenzaun fest.
»Es soll ein Ehrenname sein«, sagte er und umarmte Harriet, die wieder weinte. »Hier haben wir jetzt eine kleine
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