Die braune Rose
verstehst du … aber als Mutter? Doch glaub mir … was auch in den nächsten Wochen geschehen wird, du mußt Vertrauen haben. Du und Harriet. Ihr dürft nicht glauben, daß ich ein Schuft bin. Ich werde miserabel handeln … an euch, an anderen … ich werde in euren Augen ein Schwein werden … glaubt mir, auch wenn es euch schwerer fällt als alles andere Unglaubhafte, daß alles gut werden wird. Daß diese Wochen, in denen es um den Betrieb geht, um die Arbeit von zweihundert Männern und Frauen, um den Bestand von über hundert Familien, einmal vorbeigehen werden und daß dann nichts mehr uns trennen kann.«
Marianne atmete tief. Es war ein lautes Seufzen.
»Was willst du tun, Bert?«
»Ich gehe zu meinen Eltern zurück. Sofort.«
»Ohne mit Harriet zu sprechen?«
»Es ist besser so. Erklär du es ihr.«
»Sie wird mir nicht glauben. Und was soll ich ihr sagen? Was hat es für einen Sinn, wenn du zu deinen Eltern ziehst?«
»Ich … ich werde eine Aussöhnung mit Pachtner versuchen«, sagte Bert stockend.
Marianne begriff. »Ach so«, sagte sie und nickte. »Das kann ich Harriet niemals sagen. Ich werde ihr sagen müssen, daß du gegangen bist, weil aus Liebe Gewohnheit geworden ist.«
»Das ist eine Lüge!« rief Bert Schumacher.
»Es ist die einzige Erklärung, die Harriet verstehen wird.«
»Es wird alles wieder so sein wie bisher, wenn die Fabrik über die Krise gehoben worden ist.«
Marianne schüttelte den Kopf. »Nein, das wird es nicht, Bert. Das weißt du auch. Man kann Wochen nicht einfach wegwischen, als seien sie nie gewesen. Man kann im Leben keine Zeiten hin- und herschieben, ohne daß sie Runzeln hinterlassen.« Sie ging zurück in die Diele und öffnete die Tür zu Berts Zimmer. »Sicherlich willst du sofort packen. Ich helfe dir dabei. Dann geht es schneller.«
»Marianne!«
»Ich verstehe, du willst Harriet nicht mehr begegnen. Es ist auch besser so.«
»Du verstehst mich nicht.«
»Doch. Die gute, brave Koeberle versteht.« Marianne wischte sich die in die Stirn gefallenen blonden Haarsträhnen weg. »Nein, nein, das ist kein Sarkasmus, Bert … ich verstehe dich sehr gut. Ich habe selbst einmal an Schumacher u. Co. gehangen, als sei es ein Teil meiner selbst. Und ich hätte alles hergegeben, wenn ich in solchen Lagen hätte helfen können. Ich tue es ja auch noch jetzt … ich gebe mein Kind für Schumacher u. Co. Das Glück meines Kindes … oder vielleicht war's nur eine Illusion vom Glück. Was es auch war … Harriet-Rose war glücklich. Aber sie ist noch so jung. In diesem Alter hat man alle Voraussetzungen, zu vergessen.«
»Sie soll nicht vergessen, sie soll warten!« schrie Bert Schumacher.
»Auf ein Wunder?«
»Unsere Liebe ist kein Wunder, sie ist eine Tatsache.«
»Liebe!« Marianne lächelte traurig. Sie öffnete die Schranktüren und holte vom Schrank die beiden großen Koffer Berts herunter. »In eurem Alter ist Liebe noch eine romantische Wolke, mit der ihr in ferne Welten segelt, wo die Bäume rosa sind und das Gras blau und der Himmel wie ein geschliffenes Kristall. Ihr seid noch nicht in dem Alter, wo ihr vorher an das Erwachen denkt, bevor ihr beginnt, zu träumen. Das ist gut so … ihr lernt es früh genug.« Sie nahm die Anzüge Berts aus dem Schrank und warf sie auf das Bett. »Und nun packen wir; Harriet wird in einer Stunde zurück sein.«
*
Zwei Tage nach der Rückkehr Berts in das Elternhaus traf er Harriet-Rose vor dem Haupteingang der Universität. Er war nur gekommen, um sein Testat für die Pflichtvorlesungen zu bekommen. Seit zwei Tagen verhandelte er mit Zulieferfirmen und hatte die einzelnen Abteilungsleiter mit Bestandsmeldungen zu sich kommen lassen. Es sah trostlos aus. Die Firma war tatsächlich nur noch acht Tage arbeitsfähig. Dann mußte sie schließen, weil die Edelfurniere aufgebraucht waren.
Bert konnte nicht mehr ausweichen. Fast gleichzeitig sahen sie sich, als er aus seinem weißen Sportwagen stieg. Harriet stand neben der breiten Glastür. Um ihre schwarzen, strähnigen Haare hatte sie wieder ein Kopftuch geschlungen, den Kragen des Wettermantels hochgeschlagen. Ihr kleines, braunes Gesicht sah aus dieser Vermummung hervor, als gehöre es gar nicht in diesen Rahmen.
Bert seufzte tief und kam auf sie zu. Sie trat ihm nicht entgegen, sie wartete, bis er vor ihr stand, stumm, fast verlegen, mit unruhigen Händen, die an seinem Trenchcoat rupften.
»Guten Tag«, sagte Harriet leise. Ihre traurige Stimme erschütterte
Weitere Kostenlose Bücher