Die braune Rose
Sturmgruppen zerstört, wurden Farbige auf der Straße verprügelt und Neger aus den Straßenbahnen hinausgestoßen.
Rache für Jimmy Blight, schrien sie alle. Rache an dem schwarzen Mob, geiferten die Zeitungen. Es gilt, die weiße Kultur vor der schwarzen Demoralisierung zu schützen.
In Birmingham brach die Hölle los.
Da niemand wußte, wer sich um Harry Bob Shirer und seine Mami kümmern würde, wurden sie in den Keller gefahren. In zwei Gefrierboxen wurden sie eingefroren und in den Eisraum geschafft. Dort lagen sie, bis alle juristischen Formalitäten erledigt waren. Ein farbiger Rechtsanwalt nahm die Interessen Shirers wahr. Von Gadsden kam er herüber nach Birmingham, legte seine Vollmacht und ein Testament Shirers vor, öffnete das versiegelte Kuvert in Gegenwart eines Staatsanwaltes, der den ›Mord an einem Polizisten‹ untersuchte, und las die letzten Verfügungen Shirers vor.
Verblüfft sahen sich die Männer an, als der Anwalt zu Ende gelesen hatte.
»Er hat ein Kind«, sagte der Staatsanwalt. »In Germany. Wußten Sie das?«
»Nein. Er hat mir das Testament geschlossen übergeben.«
»Und dieses Kind – wie heißt es noch mal?«
»Harriet-Rose.«
»… diese Harriet-Rose ist Alleinerbin?«
»Ja. So steht es hier. Sie erbt runde sechshunderttausend Dollar.«
»Das sind nach deutschem Geld ja zweieinhalb Millionen Mark.«
»Gewiß.«
»Was werden Sie tun, Doc?«
»Ich fliege in den nächsten Tagen nach Germany. Vielleicht kann ich diese Harriet-Rose mitbringen. Da die Körper sowieso auf Eis liegen, macht diese Verzögerung ja nichts aus.«
Der Staatsanwalt schob die Unterlippe vor. Der Anwalt wußte, was nun kommen würde, er hatte es erwartet.
»Eine dumme Sache, Doc«, sagte der Vertreter des Staates Alabama. »Ich werde gegen Shirer Mordanklage erheben müssen! Sein Vermögen bleibt bis zur Klärung des Falles beschlagnahmt. Sollte sich der Mord als Tatsache herausstellen, so ist es doch wohl klar, daß das Vermögen Shirers als Entschädigung für die Witwe Jimmy Blights eingezogen wird. Ich sehe wenig Chancen für dieses deutsche Mädchen.«
»Wir werden darum kämpfen«, sagte der farbige Anwalt hart.
»Tun Sie das.« Der Staatsanwalt erhob sich lächelnd und unterbrach damit die Aussprache. »Wir haben fast fünfzig Zeugen dafür, daß Shirer als erster den Polizisten Blight angriff, hochschleuderte und auf das Pflaster warf. Das ist einwandfrei Mord.«
»Und der Tod von Mami Shirer?«
»Gehirnschlag. Wir haben die Diagnose der Klinik, mein Bester. Gehirnschlag vor Schreck. Sie war eine alte Frau, da ist Aufregung in solchem Maße immer kritisch.«
»Ich werde die Gegenbeweise bringen«, sagte der farbige Anwalt heiser.
Der Staatsanwalt war lächelnde Verbindlichkeit. Er brachte ihn zur Tür und gab ihm sogar die Hand.
»Viel Glück«, sagte er noch, und es war etwas wie Hohn und sogar Mitleid in seiner Stimme. »Viel Glück, Doktor.«
*
Marianne kam wieder nach Konstanz, um Harriet-Rose abzuholen.
So einfach der juristische Sachverhalt war, so schwierig gestaltete sich die menschliche Seite. Harriet weigerte sich, aus dem Heim wieder zurück zu ihrer Mutter zu gehen. Sie weigerte sich sogar, Marianne zu sehen oder zu sprechen.
»Ich will nicht! Ich will nicht!« schrie sie Frau Selpach an. »Ich weiß, Mutti hat keine Schuld … aber sie kommt von draußen und will mich wieder nach draußen holen. Aber ich will nicht! Ich will nicht! Ich hasse diese Welt! Ich hasse alles, alles! Ich will hierbleiben, für immer … Hier ist es still, hier greift mich keiner an, hier bin ich ein Mensch. Wenn ihr mich wieder nach draußen schafft, geschieht etwas.«
Erna Selpach brauchte nicht weiter zu fragen, was diese Drohung bedeutete. Sie ging zu Marianne zurück und hob die Schultern. »Sie wird sich umbringen, wenn man sie zur Rückkehr zwingt. Sie hat einen gehörigen seelischen Schock bekommen. Vielleicht wäre es besser, sie vorerst doch hierzulassen.«
»Und später?« Marianne verkrampfte die Hände in ihrem Schoß. »Bitte, versuchen Sie nicht, mich hinzuhalten. Ich weiß, daß ich Harriet für immer verloren habe, wenn sie sich hier wieder eingewöhnt hat. Was sie wissen wollte, hat sie erfahren. Sie kennt ihre Mutter, sie hat ihren Vater gesehen, und sie hat das, was man ›Leben‹ nennt, ebenfalls kennengelernt. Von allem ist sie angeekelt, allem steht sie fremd gegenüber … das Leben und die, die dieses Leben bestimmen, stoßen sie weg. Mit ihrer Mutter hat sie
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