Die braune Rose
sie zu bluten begann, wie sie nach Luft schnappte wie ein an Land geworfener Fisch, wie sie umsank und als krummes Bündel auf den weißen Holzplanken lag.
»Oh!« sagte er laut. »O Lord … verzeih einem armen Nigger.« Er sah nach oben in den blauen, wolkenlosen Herbsthimmel, als erwarte er eine Antwort auf seinen Anruf. Dann drehte er sich um, packte den um sich schlagenden Schutzmann am Gürtel, hob ihn hoch, ganz hoch über seinen Kopf, als sei er ein Stück Holz … die Menge kreischte auf, aber sie wich und wankte nicht, eine Mauer von Haß und Vernichtung war sie, Wölfen gleich, die der Blutgeruch gierig und gnadenlos macht. »O Lord!« sagte Shirer noch einmal mit höchster Traurigkeit in der Stimme, dann warf er den Körper mitten in die Menge, die im Augenblick des Niederfallens auseinanderstob. Klatschend schlug der Polizist auf dem Asphalt auf, wand sich ein paarmal wie ein ausgegrabener Regenwurm, streckte sich dann und lag still. Aus seinem Mund floß hellrotes Blut.
Shirer ließ die Hände sinken. Aus der Menge traf ihn ein Stein an den Kopf, riß ein Loch unter dem Haaransatz, trieb Blut über seine Augen und machte den Blick verschwommen. Wie hinter einer milchigen Glaswand sah er die Menge auf sich zu stürzen, spürte ihre Griffe, die wie Krallen in sein Fleisch hieben, fühlte grellen Schmerz durch seinen Körper jagen, von den Zehen bis zu den Haaren … noch einmal wehrte er sich, griff wahllos in das ihn überschwemmende Fleisch, riß und stieß, schleuderte und boxte … eine Wolke barst über ihm und gebar hundert Fäuste, die auf seine Augen schlugen und ihn blind werden ließen. Dann war es nur noch wie ein Abschlachten, er sank in die Knie, fiel später auf das Gesicht und spürte nichts mehr, bis ein kalter Wasserstrahl ihn aufriß und von dem Gehsteig schwemmte. Aber auch das nahm er kaum wahr. Er seufzte ein paarmal und glitt weg in die Dunkelheit.
Der Wasserwerfer der Polizei, den irgend jemand alarmiert hatte, trieb die tobende Menge auseinander. Zurück blieb ein blutiger, zerschlagener schwarzer Körper, eine Masse von aufgerissenem Fleisch und verkrümmten Knochen, ein kleiner Berg zitternden Lebens, der sich im scharfen Druck des Wasserwerfers drehte und wie eine tote Katze in den Rinnstein gespült wurde.
Erst dort las man Harry Bob Shirer auf, lud ihn auf eine Trage und fuhr ihn in das nächste Hospital. Aber auch dort bekam er nicht sofort ein Bett, obwohl in der Station für Weiße etliche frei standen. Man stellte ihn mit der Bahre auf den Flur vor den OP, ein farbiger Assistenzarzt wurde gerufen und untersuchte den Riesenklumpen Fleisch. Eine zweite Bahre wurde hereingetragen. Mami lag auf ihr. Sie schlief mit einem friedlichen, glücklichen Gesicht. Die weißen Haare waren an der Seite der Wunde rot, und es sah merkwürdig aus, eine Negerin mit roten Haaren.
Zwei Stunden später starb Harry Bob Shirer in einer Kammer, in der er neben seiner toten Mami lag. Der farbige Assistenzarzt stellte die Todesursache fest. Er schrieb in den Krankenbericht:
»Gestorben an Blutverlust, schweren inneren Verletzungen, vor allem Quetschungen von Milz, Leber, Nieren und Blase, hervorgerufen durch Schläge und Tritte. Bruch von vier Brustrippen, Anknickung zweier Rückenwirbel, Quetschungen im Rückgrat und Verletzungen des Zentralnervensystems. Mindestens sechs der Verletzungen waren tödlich.«
Und in Mamis Todesursache schrieb er hinein:
»Exitus durch Zertrümmerung des Schläfenbeins infolge Schlags mit einem harten Gegenstand.«
Der Chefarzt las die Berichte und schüttelte den Kopf.
»Josua Luther Miller«, sagte er zu dem farbigen Assistenzarzt und strich mit einem Rotstift den Bericht quer durch. »Das schreiben Sie noch einmal neu. Wen interessiert die genaue Diagnose? Schreiben Sie einfach: Tod durch Herzschwäche … bei dem Riesen; und bei der Alten: Tod durch Gehirnschlag.« Er sah zu dem Assistenzarzt auf. »Das stimmt doch alles haargenau, nicht wahr?«
»Ja, Sir«, sagte der farbige Arzt hart. »Es stimmt haargenau.«
Und in diesem Sinne wurde der Totenschein ausgestellt.
Ein paar Meter weiter starb in diesen Stunden auch der Polizist. Er hatte einen doppelten Schädelbasisbruch. Vertreter der Zeitungen saßen um sein Sterbebett herum und registrierten sein Sterben mit ›Berichten über die letzten Minuten eines vom schwarzen Pöbel Ermordeten‹. Noch am Abend erschienen die ersten Artikel, wurden die Schaufenster farbiger Kaufleute von weißen jugendlichen
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