Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die braune Rose

Die braune Rose

Titel: Die braune Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
keinen inneren Kontakt, weil sie auch in ihr die ›Weiße‹ sieht … und vor ihrem Vater schaudert sie innerlich, ohne es zu zeigen, weil er zu sehr ein Neger, ein Schwarzer ist. Sie spürt, daß sie zu keinem gehört, nicht zu den Weißen, nicht zu den Farbigen. Sie muß sich ihre eigene Welt erschaffen. Mein Gott, soll das das Waisenhaus sein?«
    Erna Selpach schwieg. Durch zwei Türen von ihnen getrennt, saß Harriet auf ihrem Bett und zerfetzte zwischen den Zähnen ein Taschentuch. Wenn sie den Atem anhielt, konnte sie schwach die Stimme ihrer Mutter hören, ohne die Worte zu verstehen. Aber es war der Klang, den sie kannte, diese warme Stimme, die in der ersten Zeit der ›Freiheit‹ wie Balsam über ihr wundes Herz gestrichen war und Auflehnung, Mißtrauen und Anklage vernarben ließ.
    Ich kann nicht mehr zurück, dachte sie immer wieder. Ich würde es nie ertragen, Bert mit dieser Heidi zu sehen. Ich kann nie mehr die Luft atmen, die auch er atmet. Ich liebe ihn und ich hasse ihn … das ist zuviel, um damit leben zu können. Wenn es eine Möglichkeit gibt, so nur eine. Hinüber zu Daddy, nach Alabama, in das Land, von dem man sagt, daß es die Freiheit der Menschen garantiert und für diese Freiheit zu sterben bereit ist.
    »Wenn ich sie nur sprechen könnte«, sagte Marianne zwei Türen weiter. »Nur ein paar Worte.«
    »Man müßte sie zu diesem Zweck festbinden. Sie ist wie eine Wildkatze. Wollen Sie, daß Sie unter Zwang mit ihr reden? Was soll dabei schon herauskommen als neuer Haß.«
    »Sie soll also hierbleiben?«
    »Vorläufig.«
    »Das heißt: Für immer.« Mariannes Kopf senkte sich tief. »Hat niemand daran gedacht, daß auch ich daran zerbrechen kann? Ich bin ihre Mutter.«
    »Sie haben siebzehn Jahre lang diese Mütterlichkeit unterdrücken können, ohne daran zu zerbrechen«, sagte Erna Selpach hart. Sie saß steif da wie eine Anklägerin, und ihre Worte waren wie Peitschenhiebe, die auf Marianne niederprasselten.
    Marianne nickte mehrmals. »Sie haben recht, Frau Selpach. Ich war feige … ich war ein erbärmlicher Feigling. Aber jetzt will ich um Harriet kämpfen, ich will alles wiedergutmachen.«
    »Das haben Sie auch gesagt, als Sie Harriet damals aus Düsseldorf holten. Ich weiß, Sie haben den besten Willen gehabt, Sie haben sich aufgeopfert … aber was ist daraus entstanden? Eine noch größere Weltflucht Harriets. Sie und auch ich sind zu schwach, um gegen ein brausendes Meer anzuschwimmen. Man wirft uns immer wieder auf die Klippen zurück, bis wir einmal zerschellt sind. Hier aber, in unserem Heim, ist ein Hafen … geschützt, still, sicher. Wundert es Sie so sehr, daß Harriet diesen Hafen sucht, weil sie sieht, daß sie draußen an den Hunderten von Felsen, die sich ihr entgegenstellen, zerschlagen wird?«
    »Und ich?« fragte Marianne laut.
    »Sie sind eine Weiße, Frau Koeberle.«
    »Wenn Gott es erfüllen könnte, würde ich ihn anflehen, mich zu einer Farbigen zu machen. So, wie einmal Harriet mir entgegenschrie: ›Mach mich weiß, Mutti!‹ So möchte ich hinausschreien: Gott! Mein Gott – mach mich schwarz!« Marianne war aufgesprungen, ihr Körper zitterte wie im Fieber. »Ich bin nahe daran, zu zerbrechen«, schrie sie.
    Der Klang einer zuklappenden Tür ließ Erna Selpach herumfahren, ehe sie eine Antwort fand. Harriet-Rose stand im Zimmer. Zart, braun, mit wirren, schwarzen Haaren und dunklen, glänzenden Augen. In den Fingern drehte sie das völlig zerfetzte Taschentuch.
    »Mutti«, sagte sie leise. Marianne schloß die Augen und suchte Halt an der Wand. »Mutti.«
    »Auf … auf Wiedersehen … mein Kind –«
    »Laß uns wegfahren, Mutti. Nach drüben … nach Alabama … zu Daddy … Oder liebst du Daddy nicht mehr?«
    »Ich habe ihn nie geliebt, Harriet«, stöhnte Marianne.
    »Du haßt ihn also?«
    »Nein. Ich will ihn nur nicht wiedersehen. Wozu auch? Was sollen wir in Amerika?«
    »Ruhe suchen, Mutti.«
    »Die wird es nirgendwo geben. Gerade in Alabama bist du als Mischling besonders verhaßt. Die Schwarzen erkennen dich nicht an, weil du weißes Blut in dir hast, und die Weißen stoßen dich weg, weil du Negerblut bekommen hast.«
    »Dann bleibt mir nur noch das Sterben?« fragte Harriet kaum hörbar. Es war Erna Selpach, als läge sie in einem Eissarg. Sie sprang auf und warf die Arme hoch in die Luft.
    »Dummheit! Alles Dummheit! Weil es ein paar Idioten auf der Welt gibt, glaubt ihr, daß ihr unnütz seid? Natürlich ist es schwer, zu leben … aber um

Weitere Kostenlose Bücher