Die braune Rose
euch herum ist die Sonne, blühen die Blumen, rauschen die Wälder, singen die Vögel, weht der Wind, dehnt sich das Land. Ihr solltet euch schämen, zu sagen: Das alles ist sinnlos! Wenn ihr allerdings bei den ersten rauhen Winden schon umfallt, dann ist es natürlich sinnlos, weiterzuleben.«
»Es gibt eine Grenze, Frau Selpach«, sagte Marianne heiser.
»Auch das gibt es, ja. Aber wieviel ein Mensch ertragen kann, ist oft genug bewiesen worden.«
Harriet-Rose riß an ihrem zerfetzten Taschentuch. Stumm sahen sie sich an, Mutter und Tochter, und in ihren wortleeren Blicken lag alles, was sie empfanden. Es war Harriet, die zuerst sprach.
»Ich komme mit, Mutti.«
»Sofort?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Es wird weitergehen wie bisher.«
»Und … und Bert?«
Harriet zögerte einen Augenblick. Dann sagte sie kalt:
»Ich kenne keinen Bert.«
»Das ist Selbstbetrug, Harriet.«
»Ich hasse ihn.«
»Du belügst dich selbst.«
»Vielleicht. Aber einmal werde ich an diese Lüge glauben.«
»Wenn du glaubst, daß es besser ist, wenn du hierbleibst … ich habe nichts mehr dagegen.«
»Ich komme mit dir, Mutti.«
»Ich kann dir keine Ruhe bieten.«
»Aber du bist meine Mutti.«
»Ja.« Marianne wischte sich über das bleiche Gesicht. »Wenn das genug ist.«
»Bestimmt.«
*
»Was ist eigentlich los?« Ernst Pachtner hieb mit der Faust auf den geschnitzten Bauerntisch. Er saß breitbeinig in der Jagdhütte, starrte von seiner Tochter Heidi, die weinend am Kamin stand, zu Bert Schumacher, der am Fenster lehnte und mit zusammengepreßten Lippen zuhörte. »Ich denke, alles ist in Butter, und hoffentlich kriegt die Heidi kein Kind, bevor sie die Schleier hat wehen lassen – und was geschieht? Ich werde angerufen, zu kommen, alles sei im Eimer und alles sei überhaupt ein riesengroßer Mist. Antwort, ihr zwei! Was soll das heißen?«
»Am besten fragst du Heidi«, antwortete Bert hart.
»Hat sie nicht gewollt?« Pachtner schnaufte durch die Nase. »Man behandelt ein zartes Mädchen auch nicht wie ein Keiler, mein Junge –« Er hieb wieder mit der Faust auf die Tischplatte und spürte den Blutandrang zu seinem Hirn. »Es ist überhaupt unerhört, daß ihr einen Vater so über Dinge sprechen laßt, die zum Allerprivatesten gehören, was ein Mensch hat. Ausgesprochen peinlich ist das.«
Bert Schumacher trat in die Mitte des Raumes. »Es liegt hier ein Denkfehler vor. Heidi wird dir dies sicherlich besser erklären, wenn ich draußen bin.«
»Hiergeblieben!« brüllte Pachtner. »Was ist hier los?«
»Er hat mich beleidigt«, sagte Heidi heiser. »Ich hasse ihn, Paps!«
»Beleidigt?« Pachtner sah Bert grollend an. »Was hast du von ihr verlangt, mein Junge? Ich habe große Lust, dir eine 'runterzuhauen. Heidi ist ein unerfahrenes Mädchen, und wenn du mit deinen Studentenexzessen anrückst, ist es klar, daß sie –«
»Bitte, sprich nicht weiter!« schrie Bert. »Laß dir von ihr erklären, wie die Beleidigung war.«
»Wie, bitte?« fragte Pachtner und drehte sich zu seiner Tochter um. Heidis Gesicht war eine starre Maske. »Er liebt mich nicht, Paps.«
»Wieso?« fragte Pachtner verblüfft.
»Er hat mich nur zur Braut genommen, um sein Geschäft zu sanieren. In Wahrheit ekelt er sich vor mir! Ja, er ekelt sich!« Ihre Stimme wurde hell, durchdringend, durchzittert von einem hysterischen Ton. Pachtner kannte das. Gleich geht es los, dachte er und hob den Blick zur Decke. Oje … gleich kreischt sie, stampft mit den Füßen auf und benimmt sich wie eine Paralytikerin.
»Ruhe! Ruhe«, sagte er begütigend.
»Er stößt mich weg!« schrie Heidi grell. »Er hat mich so tief beleidigt, daß keine Frau ihm dies verzeihen kann!«
Pachtner begriff ungefähr, was geschehen sein konnte. Wirklich ratlos sah er Bert Schumacher an, der sich abgewandt hatte und aus dem Fenster blickte.
»Gibt's denn so was?« fragte er. »Hör mal, Bert … du hast Heidi wirklich …« Es widerstrebte ihm als Vater, die Situation beim Namen zu nennen.
»Er hat, Paps!« schrie Heidi dazwischen. Pachtner zuckte zusammen, weniger vor dem Ton als vor der Schamlosigkeit, deren Vorhandensein er bei seiner Tochter plötzlich und mit einem Stich in der Brust entdeckte.
»Dazu kann ich gar nichts sagen«, meinte er und stand auf. »Donnerwetter, das ist mir zu dumm, darüber zu sprechen. Macht das unter euch aus. Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich gar nicht gekommen. So eine Dummheit.«
»Dummheit?« Heidis Stimme hatte jenen Grad
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