Die braune Rose
aber sie saß jenseits des Tisches, der ihr ein kleiner, aber doch nicht so leicht übergehbarer Schutz war.
»Hat Bob … ich meine, hat Herr Shirer etwas zu bestellen?« Sie hob beide Hände, als Dr. Whitefield etwas sagen wollte. »Bitte – wenn Shirer will, daß wir hinüberkommen: Wir lehnen ab. Er braucht uns auch kein Geld zu überweisen oder eine Bürgschaft zu übernehmen. Ich bleibe mit Harriet in Deutschland.«
»Okay«, sagte Jesus Abraham Whitefield. »Viel leichter das. Ich schon Sorge gehabt, daß Mrs. Koeberle wie so viele kommen zu uns, um dann zu sagen: Welch ein Mist!«
Unwillkürlich mußte Marianne lachen. Dr. Whitefield verzog das schwarze Gesicht. »War falsch, nicht wahr?«
»Es war richtig, Doktor. Es war ja so richtig. Worum handelt es sich denn? Was läßt uns der gute Shirer so Wichtiges sagen, daß er uns sogar seinen Anwalt über den großen Teich schickt? Es muß ja etwas ganz Wichtiges sein.«
Das Gesicht Dr. Jesus Abraham Whitefields wurde ernst und traurig.
»Ganz wichtig«, sagte er. »Wo ist Miß Harriet?«
»Sie kommt erst zum Mittagessen nach Hause.«
»Arbeitet?«
»Ja.«
»Dann warten.«
»Worauf? Auf Harriet? Ich denke, Sie haben von Shirer eine Botschaft für mich?«
»Für alle … Harriet und Sie, Mrs.! Ich muß sagen meine Botschaft für alle … ich warte.« Dr. Jesus Abraham Whitefield nahm seine Aktentasche vom Tisch und stellte sie neben sich, als könne Marianne sie wegnehmen und aufmachen.
»Und Sie können mir nicht sagen, warum –«
»Nein, das ich nicht kann.«
Es war endgültig. Marianne merkte es am Ton und am Gesicht Jesus Abrahams. Sie ging in die Küche, holte etwas zu essen und ein Glas Grapefruitsaft, den Dr. Whitefield als kalifornischen identifizierte und mit Genuß trank.
Die Stunden bis zum Mittagbus gingen langsam dahin. Dr. Jesus Abraham Whitefield aß noch zwei Teller voll Kekse und trank zwei Büchsen Orangensaft.
Harriet-Rose war weniger erstaunt über diesen Besuch als Marianne. Sie kam ins Zimmer und streckte Dr. Whitefield die Hand entgegen, unbefangen, ohne Verwunderung, als kenne sie ihn schon lange. Jesus Abraham schnellte aus seinem Stuhl hoch und sein Gesicht überzog sich mit einer helleuchtenden Miene.
»Harriet-Rose!« rief er laut. »Oh, wie sweety. Ich Sie begrüße.«
Er schüttelte ihr die Hand und war versucht, sie an sich zu ziehen und auf die Wange zu küssen. Da er aber nicht wußte, ob man in Deutschland diese Art bevorzugender Begrüßung richtig einschätzte, unterließ er es und begnügte sich mit Ausrufen, die keiner verstand.
»Sie kommen aus Alabama?« fragte Harriet, ehe Dr. Whitefield noch seine Mission andeuten konnte.
»Ja.« Die Miene Jesus Abrahams wurde wieder ernst und tragisch. »O ja, Harriet.«
»Von meinem Vater?«
»Ja.«
»Er läßt mich grüßen?«
Dr. Whitefield räusperte sich. »Ich habe ein Testament zu verlesen«, sagte er deutlich.
Harriet umklammerte die Tischkante. Mariannes Gesicht wurde starr.
»Ein Testament?« fragte Harriet tonlos. »Was … was ist mit meinem Vater?«
»My baby!« Jesus Abraham lächelte gequält. »Jeder gute Mann macht Testament. Harry auch.«
»Aber man verliest es erst, wenn der Erblasser tot ist«, sagte Marianne.
Dr. Whitefield hob die Augenbrauen. »Erblasser. Ein typisches deutsches Wort. Erblasser. Man muß sich merken diese Ausdruck.«
»Was ist mit meinem Vater?« fragte Harriet leise. Ihre schwarzen Augen waren ganz groß und starr. Jesus Abraham nickte mehrmals traurig.
»Der Erblasser ist … na ja … wie sagt man …«
»Tot«, warf Marianne klar ein.
»Ja.«
»Mein Vater?« Harriet schrie auf und schnellte vom Stuhl hoch. »Was ist passiert? So reden Sie doch! Ein Unfall? Sicherlich ein Unfall. Er war doch nicht krank … er war doch so stark wie ein Baum.«
»Auch der stärkste Baum fällt, wenn viele Äxte dran herumhauen.«
»Wie war es?« fragte Harriet kaum hörbar. Jesus Abraham legte die schwarzen Fäuste auf einige Schnellhefter. Über sein rundes Gesicht zuckte es.
»Man hat ihn erschlagen«, sagte er rauh.
»Mein Gott«, stammelte Marianne.
»Wie einen Hund, Mrs. Koeberle. Siebenundzwanzig Weiße – man weiß es ganz genau – haben ihn zertreten wie einen Wurm, zerrissen und zerbrochen. Und seine Mami mit ihm.«
»Und warum?«
»Weil er ein Neger war – und weil er seine Mami liebte, so wie er seine Tochter Harriet liebte.«
Marianne senkte den Kopf. Der Griff Harriets ließ nach. Plötzlich lief ein
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