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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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fürchtete. Es war keine Furcht, die Abscheu nach sich zog, sondern eher eine Art Respekt, die einen zu nötigen schien, über alles, was man zu ihr sagen wollte, zweimal nachzudenken und es auf Widersprüche, Banalitäten oder Blödsinn abzuklopfen, bevor man den Mund auftat. Er ahnte, dass die meisten Menschen, mit denen sie es bisher zu tun bekommen hatte, sie wahrscheinlich so schnell wie möglich wieder aus ihrer unmittelbaren Umgebung hatten verschwinden sehen wollen. Was ihn betraf – in sich entdeckte er den Wunsch, ihr von seiner eigentlichen Mission zu erzählen und zu hören, wie sie sagte: »Ich werde dir dabei helfen.«
    Um diesem unsinnigen Gedanken nicht noch weiter nachzuhängen und um die merkwürdige Pause in ihrem ohnehin stockenden Gespräch zu überbrücken, entschloss er sich seinerseits zum Angriff. Vielleicht ließ sie ihn dann sogar in Ruhe über die Möglichkeit nachdenken, Corto hinterherzulaufen und ihn zu ermorden.
    »Was ist mit Ihnen, Schwester?«, fragte er so herablassend wie möglich. »Wo gehören Sie hin? Man möchte meinen, in ein Kloster, aber stattdessen haben wir «, er betonte es so stark wie möglich, »Sie auf der Straße aufgegriffen.«
    Sie blinzelte nicht, aber etwas in ihren Augen schien zu zucken.
    »Wir waren unterwegs in ein anderes Kloster. Der Herr schickt seine Dienerinnen dorthin, wo sie gebraucht werden.«
    »Der Herr? Oder eher die Äbtissin, die so viele Meilen wie möglich zwischen sich und eine bestimmte Schwester bringen wollte?«
    Er sah, dass er sie getroffen hatte. Der Gedanke, dies zu sagen, war in einem Augenblick entstanden, in dem er das Gefühl gehabt hatte, der Blick in ihre Augen war weniger das Kreuzen zweier Klingen als vielmehr eine Brücke von einer Seele zur nächsten, und wenn er sich anstrengte, könnte er die Zeichen, die sie aussandte, ebenso gut erkennen wie sie offenbar die seinen.
    Sie schwieg so lange, dass er das Gespräch für beendet gehalten hätte, wenn sie nicht den Blickkontakt aufrechterhalten hätte.
    »Ich habe dort nicht hingepasst. Die Äbtissin war so gnädig, mich aus diesem Dilemma zu entlassen.«
    »Passen Sie dorthin, wohin Sie unterwegs waren, bevor wir kamen?«
    »Was ist mit dir, Lorenzo?«, fragte sie. »Wünschst auch du so viele Meilen zwischen dich und mich zu bringen wie möglich?«
    »Je mehr, desto besser«, plante er zu erwidern und hörte zu seiner eigenen Überraschung seine eigene Stimme gepresst sagen: »Nein.«
    »Ich habe Corto von dir reden gehört«, sagte sie. »Es klang, als würdet ihr euch schon seit Jahren kennen. Die Männer gehen mit dir um, als wärest du nicht erst vor zwei Tagen zu ihnen gestoßen. Der Name, den du ihnen gegeben hast: Wolfspack. Ist dir schon aufgefallen, dass sie ihn bereits angenommen haben? Warum glaubst du, dass du nicht hierher gehörst?«
    Er wollte rufen: »Wissen Sie, dass diese Männer noch vor Kurzem zu der Schwarzen Schar gehörten, zu diesen Mensch gewordenen Ungeheuern?« Aber er wusste, was sie geantwortet hätte: »Jetzt tun sie es nicht mehr, oder?«
    »Corto sagt, ihr sprecht die gleiche Sprache. Er sagt, vermutlich habt ihr beide aus demselben Kessel geschöpft. Was hat er damit gemeint?«
    Malocher, dachte Lorenzo. Es war klar, dass mich das verraten würde. Es war das Wort, das die Landsknechte anstelle des Begriffs Plünderer verwandten. Natürlich hatte Corto es während seiner Zeit bei der Schwarzen Schar kennengelernt, so wie Lorenzo in den Jahren damit vertraut geworden war, die vor seiner Anstellung im Haus Bianchi lagen. Aus demselben Kessel geschöpft – wie wahr, mein Alter! Aber tatsächlich war damit nicht nur der Kessel gemeint, in dem in jedem Heer und jedem Haufen die Marketenderinnen den ewig gleichen Fraß anrührten, den sie untertags aus Rache dafür verkauften, dass die Männer sie des Nachts auf Pump zu vögeln versuchten. Lorenzo machte sich klar, dass es auch noch eine metaphorische Bedeutung hatte: Sowohl Corto als auch er hatten festgestellt, dass der Inhalt des Kessels, in dem ihr Leben so lange auf der Flamme von Brutalität und Gedankenlosigkeit geköchelt hatte, auf Dauer zu bitter war, und sowohl Corto als auch er waren davor geflohen.
    »Warum nehmen Sie an, dass Sie nicht in das Kloster passten, aus dem Sie gekommen sind?«, fragte er, statt ihr zu antworten.
    »Ich habe einen Falken gesehen, wo ich eine Taube hätte sehen sollen«, erklärte sie.
    Lorenzo deutete in Richtung der still und dunkel daliegenden Häuser.

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