Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
ganzen Stall voller Söhne, die war’n alle halbe Viecher vom Leben im Wald, un’ die haben Pinkel un’ seinen Kerlen gesagt, sie soll’n verschwinden, un’ damit die sich das auch merken, ham sie die sicherheitshalber verdroschen und den Gaul behalten; ’n paar Tage später kommt Pinkel zurück, aber diesmal hat er zehnmal so viele Kerle dabei. Klumpfuß, der nich blöd war, hatte Lunte gerochen und sich mit seiner Bande im Schilf versteckt, Weiber, Kinder, sogar die Sau un’ die Ziegen ham sie mitgenommen. Pinkel war aber auch nich blöd, un’ als ihm klar wurde, wo Klumpfuß und die anderen steckten, ließ er das Schilf umstellen un’ anzünden. So viel zum Verstecken im Schilf!«
»Woher willst du das alles wissen?«, fragte Fabio.
»Weil ’n paar von uns hier aus’m Dorf die verbrutzelten kleinen un’ großen Klumpfüße eingesammelt und beerdigt ham«, sagte der Dörfler mit unbewegtem Gesicht.
»Wir haben keine Chance, wenn wir hierbleiben«, sagte Corto. Er stand auf und stapfte vom Feuer weg in die Dunkelheit hinein. »Deshalb bleiben wir nicht hier. Mein letztes Wort.«
Die meisten Männer aus dem Wolfspack nickten. Ein paar machten betretene Gesichter. Fabio blickte zu Lorenzo herüber und gleich wieder weg. Er wirkte ebenso verlegen wie vor dem Trosswagen. Der aufsässige junge Dörfler sprang auf, spuckte ins Feuer und schlurfte davon; seine drei Nachbarn blieben sitzen und ließen die eine oder andere tröstende Geste unglücklich über sich ergehen. Sie nahmen keines der angebotenen Lebensmittel an. Fabio zuckte mit den Schultern und mischte sich unter die anderen. Lorenzo blieb als Einziger abseits der anderen stehen. Er blickte nach dorthin in die Dunkelheit, wo Corto verschwunden war. Corto war allein gegangen. Er brauchte ihm nur nachzuschleichen … Wenn Enrico Corto wieder deckte, dann konnte er jederzeit zum Feuer zurückkehren, wenn nicht: ein Dolchstoß aus dem Dunkel … Einen Zeitpunkt wie jetzt, an dem das Wolfspack noch verwirrter und unschlüssiger war und damit einen günstigeren Moment zur Flucht würde es nicht mehr geben.
Lorenzo wandte sich ab. Schwester Magdalena stand neben ihm und starrte gleich ihm in die Nacht hinein.
»Bist du der gleichen Meinung?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen.
»Welcher Meinung?«
»Dass es unmöglich ist, dass Dorf gegen die Schwarze Schar zu verteidigen.«
»Weshalb sollte es auf meine Meinung ankommen?«
»Und dass es das Beste ist, aus dem Dorf zu flüchten und die Leute hier sich selbst zu überlassen?«
»Corto würde es nicht Flucht, sondern Rückzug nennen.«
»Ich frage mich, wie du es nennst.«
»Ist es das, worum die Diskussion zwischen Corto und den Dörflern gegangen ist? Die Bitte der Leute, dass Corto das Dorf befestigt, und Cortos Ablehnung?«
»Wir«, sagte Schwester Magdalena.
»Wie bitte?«
»Aus deinem Mund müsste es heißen: dass wir das Dorf befestigen.«
»Dass wir das Dorf befestigen«, sagte Lorenzo, ohne die Bestürzung ganz aus seiner Stimme verbannen zu können. Sein spöttisch gemeintes Grinsen gelang nur mangelhaft.
»Ich frage mich, was du hier suchst.«
»Was suchen wir denn alle, Schwester? Sie haben es selbst so schön ausgedrückt, bevor Georg Vogler der Schlächter unser nettes Gespräch unterbrach: Wir suchen eine Heimat.«
»Du bist nicht hier, um eine Heimat zu suchen«, erklärte sie. »Das hier ist deine Heimat. Du bekämpfst den Gedanken daran in deinem Herzen, aber in Wahrheit bist du dort, wo du hingehörst.«
»Nein«, sagte er, schneller als er denken konnte. Er biss sich auf die Zunge.
»Nein? Ich sehe in dein Herz, aber ich kann nicht in deinen Kopf sehen. Was suchst du hier, wenn du überzeugt bist, nicht hierherzugehören?«
Lorenzo starrte weiter geradeaus in die Finsternis. Er hörte hinter sich die Stimme Clarice Tintoris, die sich über etwas beschwerte, ohne dass er verstand, worum es ging; vermutlich war der Tenor: »Das kann ich nicht akzeptieren!« Im nächsten Moment hörte er sie diesen Satz schon sagen, durchaus nicht leise. Er ahnte, wenn er sich auch noch so nebensächlich umgedreht und zu der Gefangenen hinübergeblickt hätte, hätte ihn sein Gesichtsausdruck verraten. Dann schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er sich genauso verdächtig verhielt, wenn er nicht das Naheliegende tat, nämlich nachzusehen, auf welche Weise die Gefangene ihren Wärtern diesmal auf die Nerven ging. Er musste zugeben, dass er sich vor der jungen Schwester an seiner Seite
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