Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
kommt es eher so vor, als wäre im Nachhinein alles klarer, als es damals war, und als ob das alles nicht hätte passieren können, wenn man sich nur die Mühe gemacht hätte, einen Schritt zurückzutreten und das Ganze von der Ferne aus zu betrachten. Gut, da war der alte Stadtadel vom Schlag der Pazzi, der nichts mehr zu sagen hatte, weil die neureichen Bürgerlichen wie die Medici die Macht in der Signoria an sich gerissen hatten. Natürlich hatten sie Grund, wütend zu sein, aber andererseits hatte nicht zuletzt die Familie Medici dafür gesorgt, dass es Florenz richtig gut ging. Gut, da war der Papst, den Lorenzo de’Medici düpiert hatte und dessen Pläne zur Ausweitung des Kirchenstaats er durchkreuzt hatte. Natürlich musste der Papst über Lorenzos Intrigen empört sein, aber alles, was er an Plänen gehabt hatte, hätte sich für Florenz negativ ausgewirkt. Gut, da waren die Volterraner, die Geld gaben, damit der Aufstand finanziert werden konnte, weil Lorenzo de’Medici kurz nach seiner Übernahme der Signoria ein Blutbad dort hatte anrichten lassen. Natürlich hatte jeder von diesen Leuten Angehörige zu beklagen, die umgekommen waren, aber Lorenzo de’Medici hatte sich in aller Form dafür entschuldigt, Buße getan und Reparationszahlungen geleistet. Gut, da waren Männer wie Bernardo Bandini und Franceschino de’Pazzi, die überzeugt waren, dass die Medici-Herrschaft eine Tyrannei war und dass es edel sei, einen Tyrannen zu ermorden, und die diese Aufgabe für sich selbst vorsahen, obwohl sie wussten, wie es seinerzeit für Brutus und seine Freunde ausgegangen war. Natürlich war es ein Verbrechen, was sie planten, aber sie taten es nicht, um sich persönlich zu bereichern.«
Testanera seufzte und massierte unbewusst sein Knie. Bandini musterte ihn. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Das Thema war schwierig genug für ihn, wenn er in aller Stille darüber nachdachte, doch jetzt war er hier, in Florenz, das ihn mit Hass und Sehnsucht gleichermaßen erfüllte, und ein völlig Fremder, den er anzuheuern versuchte, um damit einen Verräter einzufangen, bohrte mit Spitzfindigkeiten in den alten Wunden herum.
»Was zeigt uns das letztlich? Jede Seite hatte ihre Gründe, so zu handeln, wie sie es getan hatte, und jede Seite schob ihrem Gegner so unlautere Motive wie möglich unter, um nur ja nicht darüber nachdenken zu müssen, ob man selbst nicht vielleicht auf dem Holzweg war. Schon Kain und Abel sind aus diesem Grund aneinandergeraten.«
Testanera schwieg und schaute Antonio ins Gesicht. Die Pulverexplosion, die das Gesicht des Alten verbrannt hatte, hatte auch in seinem rechten Auge Spuren hinterlassen – Dutzende kleiner schwarzer Partikel waren über den Augapfel verstreut. Bandini fragte sich, ob Testanera auf diesem Auge überhaupt etwas sah … Zwei Versehrte waren sie, Bandini einäugig und mit einer zerstörten Hand, Testanera vermutlich ebenfalls einäugig und mit einem zerstörten Bein. Außerdem verband das graue Haar sie. Testanera mochte zehn Jahre älter sein, aber von Weitem hätte ein oberflächlicher Beobachter sie wahrscheinlich demselben Jahrgang zugeordnet. Sie hatten viele Gemeinsamkeiten, außer dem Umstand, dass Bandini keine Ahnung hatte, was Testanera ihm eigentlich mitteilen wollte.
»Tja«, sagte er schließlich diplomatisch.
»Jetzt fragen Sie sich, warum ich Ihnen das alles erzähle«, sagte Testanera.
Bandini lächelte.
»Weil Sie’s vergessen haben«, sagte Testanera.
»Hä?«
»Es hieß, Sie suchen Männer, um einen Verräter einzufangen, der seinen Herrn verkauft hat und mit Straßenräubern gemeinsame Sache macht, um Lösegeld für die künftige Schwiegertochter seines Herrn zu erpressen. Es hieß, Sie suchen Männer, um Lorenzo Ghirardi zu schnappen, den Mann, dem Sie das alles zur Last legen.«
»Das hieß es nicht nur, das heißt es noch immer.«
Testanera beugte sich nach vorn. »Sie müssen sich irren«, sagte er.
»Das höre ich nicht zum ersten Mal«, erklärte Bandini mit jäh erwachendem Ärger.
»Warum glauben Sie’s dann nicht?«
»Sie sind doch kein Dummkopf, Luigi«, knurrte Bandini. »Die Kerle haben genau gewusst, wo sie uns überfallen mussten. Rein zufällig verspätete sich Ghirardi mit seinem Abholkommando genau um den einen halben Tag, den es brauchte, damit wir zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen waren. Dann unterband Ghirardi jeden Versuch, die Kerle zu verfolgen, sondern setzte sich ab und machte sich allein auf den Weg,
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