Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
mit ebenso starrer Miene wieder aufgestiegen und hatte sich an die Spitze gesetzt, allein auf dem Pferd. Für eine lange Weile hatte niemand ihn gebeten, zu ihm hinaufklettern zu dürfen. Der kleine Leichnam blieb hinter den Fliehenden zurück, nach kurzer Distanz schon wenig mehr als ein Bündel Lumpen im Gras, dann ein stumpfer Fleck im Grün, dann war er dahin. Niemand schien darum zu trauern; ob Fabio es tat, hätte vermutlich Schwester Magdalena beantworten können, aber Lorenzo kam während des Marsches nicht in ihre Nähe, und als Fabio sich wieder in die Marschordnung einreihte, war seinem Gesicht nicht mehr abzulesen, was er empfand.
    Weitere Vorkommnisse hatte es nicht gegeben. Lorenzo wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnten, am ersten Tag so verhältnismäßig gut vorwärtsgekommen zu sein.
    Das Geräusch von Schritten auf dem Waldboden ließ Lorenzo die gespannte Armbrust heben. Da hörte er, wie Corto leise sagte: »Ich bin’s nur, ich bin’s nur, legt mich bloß nicht aus Versehen um, ihr Welpen!« Lorenzo ließ die Waffe sinken und ging weiter, bis er an Corto vorüberkam.
    »Ablösung«, sagte Corto. »Da vorn bei dem Gestrüpp warten die anderen. Setzt euch ans Feuer, und esst was. Es gibt Wassersuppe mit Dörrfleisch oder Dörrfleisch mit Wassersuppe, du kannst’s dir aussuchen.«
    Lorenzo nickte und steuerte die Stelle an, an der vage die Wachablösung zu sehen war. Er hörte, wie Corto das Gleiche zu dem Mann sagte, der hinter Lorenzo kam, dann drückte er seine Armbrust in zwei wartende Hände, roch den Rauch eines mit feuchtem Holz angefachten Feuers in den Kleidern des anderen, erhielt ein Schulterklopfen und stolperte neben Urso, der auf ihn gewartet hatte, zum Zentrum des Lagers. Er überlegte, wieso Corto außerhalb des Kreises gestanden hatte, den die Wachrunde gebildet hatte – als ob er nicht vom Lagerplatz gekommen wäre, sondern von außerhalb –, aber er vergaß die Frage wieder, als er und Urso noch relativ weit abseits des Feuers an drei Menschen vorbeikamen, von denen zwei zu schlafen schienen, während der dritte aufrecht und mit um die hochgezogenen Knie geschlungenen Armen dasaß und in die Finsternis blickte. Es waren die beiden blutjungen Schwestern, Radegundis und Immaculata, und Clarice Tintori. Sie war es, die saß. Sie schien zu wütend oder zu ängstlich zu sein, um sich schlafen zu legen; Lorenzo hörte ihren schnellen Atem und spürte förmlich die Hitze, die von ihrem Körper ausging. Er drehte sich im Weiterstolpern zu ihr um und versuchte ihren Blick aufzufangen. Sie gab den seinen ausdruckslos zurück. Lorenzo spähte zu ihr hinüber, bis der Trosswagen, der zwischen dem Lager und den drei Frauen stand, ihm die Sicht nahm.
    Lorenzo zwang sich, etwas von der Suppe zu sich zu nehmen, während sein Blick über die Gestalten beim Feuer huschte, die sich noch nicht zum Schlafen hingelegt hatten. Er sah Enrico, der kurze, gerade Stöcke vor sich auf den Boden gelegt hatte und an einem seiner bereits fertiggestellten Armbrustbolzen Maß nahm; Schwester Magdalena, die zwischen den Dörflern umherging und zu beten schien, Verruca, der finster im Feuer herumstocherte, einige Dörfler … Über allem hing der Regen, der durch das Blätterdach tropfte, und das Schweigen der Erschöpfung vom gestrigen Tag, der fast völlig durchwachten Nacht und der Reise hierher. Urso neben ihm rülpste. Lorenzo drehte sich zu ihm um.
    »Das war kein Signal der Zufriedenheit, sondern eine Beschwerde«, sagte Urso und grinste resigniert.
    Lorenzo rappelte sich an Ursos massiver Schulter hoch und streckte sich. »Ich geh mal pissen«, sagte er und rang sich ein Gähnen ab.
    »Das kommt so raus, wie’s reinkommt«, brummte Urso und winkte ihm zum Abschied.
    Lorenzo stapfte in eine Richtung, bis er das Gefühl hatte, dass niemand mehr auf ihn achtete. Dann schwenkte er um und schlich so leise er konnte zu der Stelle hinüber, an der er die drei Frauen gesehen hatte. Clarice saß immer noch aufrecht da. Er baute sich vor ihr auf und sah auf sie hinab. Die Schwestern regten sich nicht; sie schliefen tatsächlich. Clarice erwiderte seinen Blick, ohne zu blinzeln. Lorenzo ging vorsichtig in die Hocke.
    »Hallo«, flüsterte er und probierte ein Lächeln.
    »Verschwinde«, sagte sie.
    »Ich muss Ihnen etwas sagen, Clarice. Erschrecken Sie nicht, aber …«
    »Erschrecken wovor? Dass Corto mir einen Wächter schickt? Ich weiß auch von allein, dass wir auf der Flucht sind.«
    »Nein …«

Weitere Kostenlose Bücher