Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
war’n.«
»Corto del Traghetto, Fabio Ercole, Enrico der Geschichtenerzähler, Giuglielmo, Urso, Pio-Pio, Verruca …« Der schwarze Schatten beeindruckte die Männer vor seinem Sessel, indem er alle Namen der einstigen Kameraden aufzählte. Sie sahen sich an. Selbst in ihren verhärteten Herzen klang es, als würde ein Henker die Namen der Verurteilten vorlesen. »Wie weit ist dieses Dorf entfernt?«
»Wir sin’ die halbe Nacht und ’n halben Tag gelaufen. Knapp vier badische Meilen, schätz ich, Meister Konrad.«
»Sind Cortos Leute noch dort?«
»Klar, Meister Konrad. Die ham uns doch nich’ von dort vertrieben, weil sie grade mal zufällig vorbeikamen.«
»Zweimal falsch«, sagte der Schatten und stand auf. »Die Schwarze Schar wird nicht vertrieben; sie zieht sich höchstens zurück. Und sobald Corto auf Georg Vogler gestoßen ist, weiß er, mit wem er sich angelegt hat. Er wird nicht im Dorf bleiben.«
Die Männer duckten sich. Sie sahen zu Boden.
»Du«, sagte der Schatten zu einem der beiden, »wirst die dritte und vierte Kompanie zum Dorf leiten. Lasst nur so viele am Leben, dass sie die Botschaft weitertragen können, und brennt alles nieder – sorgt dafür, dass der Rauch weit zu sehen ist.«
»Jawohl, Meister Konrad.«
»Stellt fest, in welche Richtung Corto und seine Deserteure gezogen sind. Wenn ich mit der ersten Kompanie dort ankomme, will ich wissen, wohin wir uns wenden müssen.«
»Die erste Kompanie? Das sin’ doch die …«
»Genau«, sagte der Schatten. »das sind sie.«
Die beiden Männer warfen sich Seitenblicke zu. »Wann?«
Der Schatten musterte sie schweigend.
»Sofort?«, fragten die Männer, denen jeder Muskel am Körper schmerzte, deren Kehlen vor Durst wund waren und deren Mägen knurrten.
Der Schatten antwortete nicht. In seinem Schweigen erkannte der eine der Männer, dem der Schatten seine Befehle erteilt hatte, dass er sich glücklich schätzen durfte, nicht gehängt zu werden für das Versagen ihres Zugs im Dorf, und dass die leise Chance bestand, es wiedergutzumachen. Er legte die Hände vor die Brust, verbeugte sich und eilte davon. Der zweite Mann blieb zurück. Als das Schweigen immer länger wurde, stieg eine Furcht in ihm hoch, die einen anderen Mann, einen, der nicht so oft wie er dem Tod ins Auge geblickt hatte, die Kontrolle über seine Blase hätte verlieren lassen. Die instinktiven Reaktionen seines Körpers verhinderten, dass etwas Derartiges geschah, doch seine Angst war deswegen nicht geringer. Der Schatten trat an eines der Rundbogenfenster, die vom Saal hinaus in den Bereich mit den Stallungen und den Gesindehäusern schauten. Männer übten dort mit den acht Pferden, die ihnen beim Überfall auf das dominium in die Hände gefallen waren. Bislang hatten sie erbeutete Pferde geschlachtet, wenn sie sich nicht vor einen Karren spannen ließen; diesmal waren genug Vorräte vorhanden gewesen, um die Pferde zu schonen und eine andere Idee bezüglich ihrer Nützlichkeit zu entwickeln … Die Männer wirkten mittlerweile sicher im Umgang mit den Tieren, wenn auch nicht vertraut, doch eine Woche beharrliches Üben hatte ihre Wirkung gezeigt. Inmitten der Reiter stand ein grauhaariger Mann, der seine schwarze Binde um die Stirn geschlungen hatte. Ein Bein endete in einem hölzernen Stumpf, der zwei lange spitze Eisendornen aufwies an der Stelle, an der das Bein in das Fußgelenk übergehen würde. Der Mann schien den Blick zu spüren, der aus dem Rundbogenfenster auf ihn fiel; er drehte sich um und spähte nach oben. Nach einem Augenblick deutete er fragend auf sich; der Schatten nickte. Der Mann bellte den übenden Reitern einen Befehl zu und ging dann zum Eingang des Turms.
Der Schatten wandte sich dem noch immer vor seinem Stuhl stehenden Mann zu. »Wie gut kannst du reiten?«
Der Mann schluckte. »Gar nicht, Meister Konrad.«
»Dann sollen sie dich auf dem Pferd festbinden. Du bringst die Reiterei auf Cortos Spur. Ihr greift ihn an, sobald ihr auf ihn stoßt. Corto und seine Leute haben keine Pferde. Zermürbt sie, und nagelt sie an Ort und Stelle fest, bis wir euch eingeholt haben.«
»Jawohl, Meister Konrad.«
Der Schatten gab keine Antwort. Er drehte sich wieder um und starrte in den Nebel hinaus. Über sein Gesicht irrlichterte ein Zucken.
Kapitel 31.
L orenzo stapfte auf seiner Runde um das Lager durch die Düsternis. Anfangs war er noch gegen Eschen- und Birkenstämme gerannt oder über Äste gestolpert, aber mittlerweile hatte er einen
Weitere Kostenlose Bücher