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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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erinnern, was er schon einmal gesehen hatte …
    Er legte eine Hand auf den Brustkorb des Mädchens, drückte ihren Kopf nach hinten und den Unterkiefer noch weiter auf, hielt ihr mit zwei Fingern die Nase zu und küsste sie auf den Mund.
    »Was zum …«, stieß Enrico hervor.
    Lorenzo spähte zu seiner Hand auf dem Brustkorb des Mädchens, holte Atem und beugte sich wieder über sie.
    »Hör auf damit, du verdammtes …« Magdalena packte Enricos Arm, und der Mann verstummte. Er sah mit großen Augen zu, wie Lorenzo wieder und wieder in den geöffneten Mund des Kindes atmete, seine Hand beobachtete, Luft holte, die Luft in die Lunge des Mädchens blies, bis sich ihr Brustkorb plötzlich aufbäumte und sie um sich schlug und hustete und sich dann nach vorn rollte, um einen dünnen Strahl Galle zu erbrechen. Danach sackte sie in sich zusammen und begann zu weinen.
    Lorenzo setzte sich auf seine Fersen zurück und wischte sich den Mund ab. Magdalena sah ihn wie durch einen Schleier; verspätet wurde ihr bewusst, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie blinzelte, und die Tränen rollten über ihre Wangen hinab. Enrico starrte Lorenzo mit offenem Mund an, während er mit einer Hand ungeschickt den Rücken des Kindes streichelte.
    »Mein Gott«, sagte er zuletzt. »Du hast sie zurückgeholt. Ich will verdammt sein. Du hast sie zurückgeholt .«
    »Nein«, sagte Lorenzo. »Man kann niemanden zurückholen. Aber man kann jemanden, der noch vor der Schwelle steht, aufhalten und zur Umkehr überreden.«
    Enrico zog das Mädchen auf seinen Schoß und hielt es fest. Der kleine Körper wurde von Schluchzen geschüttelt. Enrico sah blicklos auf. »Ich hab die Kleine in einer der Hütten gefunden, als wir aus dem Dorf aufbrachen«, sagte er zu niemandem. »Ich weiß auch nicht, warum ich noch mal nachgeschaut habe. Die Leute aus der Hütte waren alle tot. Sie hatte sich in der Futterkrippe der Ziegen versteckt … die ganze Nacht, während wir draußen bei den Feuern saßen. Ich weiß nicht mal, wie sie heißt.«
    »Felicità«, sagte eine der Frauen aus dem Dorf.
    »Tja«, sagte Enrico. »In der Tat, was?« Er schüttelte den Kopf. »Woher hast du gewusst, wie man das macht?«, fragte er dann Lorenzo, der die ganze Zeit über in Magdalenas Augen geblickt hatte, ein Blick, von dem er ebenso wenig loszukommen schien wie Magdalena selbst.
    »Buonarotti hat mir das mal gezeigt«, sagte er langsam. »Beim Ponte Santa Trinità war ein Kind ins Wasser gefallen, und als sie es direkt hinter Ser Bianchis Haus aus dem Fluss zogen, atmete es schon nicht mehr. Buonarotti und ich waren unter den Ersten, die am Ufer eintrafen, und Buonarotti hat sich das Kind geschnappt und angefangen, ihm wieder Leben einzuhauchen.«
    Magdalena lächelte. Lorenzos Blick flackerte keine Sekunde.
    »Er kam leider zu spät«, sagte er.
    »Wer zum Teufel ist Buonarotti?«, fragte Enrico. »Und wer ist Ser Bianchi?«
    Und von einem Sekundenbruchteil auf den anderen wusste Magdalena alles, was es über Lorenzo Ghirardi und seine wahren Motive zu wissen gab, eine Wissensübermittlung, die nur bedingt durch ihren besonderen Sinn stattfand und zum weitaus größeren Teil durch ihren beiderseitigen Augenkontakt. Noch während der Schock der Erkenntnis durch ihren Körper fuhr und sie keuchen ließ, blickte Lorenzo zu Boden, die Schwingungen von seiner Seite verstummten, und er stand auf. Magdalena sah fassungslos zu ihm auf. Er gönnte ihr keinen Blick.
    »Niemand, den du kennst, Enrico. Wollen wir weiter?« Er hielt Enrico die Hand hin, und nach einem winzigen Zögern griff dieser danach und ließ sich von Lorenzo auf die Beine ziehen.
    »Jetzt«, hörte Magdalena Enrico leise sagen, »jetzt bin ich dir wirklich was schuldig.«
    Lorenzo lächelte schwach. Magdalena konnte immer noch nicht anders, als ihn anzustarren. Seine Blicke streiften die ihren, und als neuer Schock durchfuhr sie das Wissen, dass Lorenzo klar war, dass er sich ihr gegenüber auf irgendeine Weise vollkommen enttarnt hatte. In seinem Blick lag ein stummes Drängen ebenso wie eine schweigende Drohung. Er wandte sich ab und fiel wieder in einen leichten Laufschritt, seufzend und stöhnend schlossen sich die anderen an, und so trabten sie an Schwester Magdalena vorbei, die erschüttert auf dem Boden saß und noch einige lange Augenblicke benötigte, bevor sie sich aufrappeln und dem Trupp folgen konnte.
    Gegen Mittag wurde aus dem Niesel- ein Landregen, und sie krochen in eine Gebüschgruppe, die

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