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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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niemals völlig nackt gewesen, nicht einmal zu den Zeiten, als sie fiebrig auf ihrer Pritsche lag und ihre Schwestern ihre Brust mit warmem Schweineschmalz, Kamillenextrakt und Minze eingerieben hatten; die warmen, massierenden Hände waren einfach unter Kukulle und Hemd geschlüpft und hatten ihr Werk im Geheimen verrichtet.
    Der Gedanke, dass ihr eine weitere fiebrige Erkältung bevorstehen mochte, wenn sie es nicht über sich brachte, auch das Hemd abzuwerfen und sich warm zu massieren, blitzte so deutlich in ihr auf, dass es schien, als käme er von außen. Dann erkannte sie, dass er tatsächlich von außen kam, und sie drehte sich um und hatte das Gefühl zu sterben.
    Lorenzo stand hinter ihr und starrte auf sie hinab. Sie gab den Blick zurück. Sie ahnte, dass es so aussah, als kauere die Delinquentin im Marterhemd vor dem Henker. Selbst ihr kurz geschorenes Haar trug zu diesem Eindruck bei. Lorenzo war dem Beispiel der Dörfler gefolgt und hatte bis auf eine enge, an den Knien endende und an der Hüfte mit einem Stoffband zusammengeschnürte Hose alle Kleidungsstücke abgelegt. Ihr wurde bewusst, dass sie niemals zuvor einen Mann in unbekleidetem Zustand gesehen hatte. Im Kloster waren die wenigen Knechte selbst bei größter Hitze stets sittsam gekleidet gewesen. Sie hatte sich den Körper eines Mannes wie die größere Ausgabe eines Knaben vorgestellt, knochige Schultern, schlaksige Arme, ein magerer Brustkorb … Die Wahrheit war so anders, wie ihr eigener Körper anders war als der eines kleinen Mädchens, und sie wurde sich dieses eigenen Körpers unvermittelt bewusst. In diesen kurzen Augenblicken, in denen sie Lorenzo Ghirardi anstarrte, machte ihr Geist einen Sprung und überwand fünfzehn Jahre Dunkelheit und Ignoranz und medizinisches Halbwissen über die mechanischen Funktionen des menschlichen Körpers und fand sich fassungslos all den anderen Möglichkeiten gegenüber, zu denen Gott das Wunder Mensch bestimmt und nach seinem eigenen Vorbild geschaffen hatte. Durch ihren Leib rann ein Schauer, der nur halb unangenehm war; als es ihr bewusst wurde, starb sie noch ein bisschen mehr.
    Lorenzo ließ sich auf ein Knie nieder. Er unterbrach den Blickkontakt keinen Moment lang. In der durcheinanderwirbelnden Mischung aus eigenen Gedanken und fremden Schwingungen erkannte sie, dass er ebenso wenig dazu in der Lage war wie sie selbst. Sie starrte in seine dunkelblauen Augen und sah gleichzeitig seinen weißen, mit Muskeln und Sehnen wie gemeißelten Oberkörper, die scharf gezeichneten Schultern, die Muskelpakete an den Armen, die flache, harte Senke seines Bauchs. Sie wusste, dass in diesem Augenblick wie schon in anderen zuvor ihr besonderer Sinn keine Einbahn war, sondern dass er ebenso in der Lage war, ihre Gefühle zu empfangen, wie sie die seinen empfing. Irgendwann in der Spanne zwischen der Erkennung ihres Körpers und seinem Entschluss, sich vor sie hinzukauern, war das Entsetzen darüber und die Panik, welche Gedanken sich plötzlich in ihr befreit hatten, gewichen. Ohne es genau zu wissen, verlangte sie danach, dass er über ihre Gefühle Bescheid wusste. Seine Hose war durch die Bewegung und die Feuchtigkeit, die sie an seinen Oberschenkeln kleben ließ, nach unten gezogen worden; auf die gleiche Weise, auf die sie ihn ermessen hatte, ohne den Blick von seinen Augen abzuwenden, sah sie nun die Halbmonde der Beckenknochen, über die der obere Hosensaum gerutscht war, sah das scharfe V, das von den Hüften nach unten führte … Sie ahnte, wo sich dieses V treffen würde, wenngleich sie keine Ahnung hatte, wie es aussehen würde. Von seiner Brust zog sich ein dunkler Haarflaum über seinen Bauch, verengte sich beim Nabel und fiel von dort in einem schmalen Streifen nach unten ab, unter den Hosensaum, aus dem ein etwas breiterer Streifen dunklen, wolligen Haares aufstieg und sich mit ihm traf. Sie starrte in seine Augen. Er starrte in ihre Augen. Sie hörte seinen Herzschlag und spürte seine Verwirrung und was in dieser Verwirrung mitschwang. Es übertrug sich auf sie. Es öffnete eine Tür in ihrem Geist und eine Schleuse in ihrem Körper.
    Er streckte eine Hand nach ihr aus.
    Sie wusste, dass sie zum Tod verurteilt war, wenn die Hand sie berührte. Schwester Magdalena Caterina würde sterben. Es war unklar, wer aus diesem Tod in ihrem Körper auferstehen würde. Es war möglich, dass es niemand war, dass die Erfahrung die bange kleine Seele tief dort drin einfach verbrennen würde. Sie wurde

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