Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
sich darüber klar, dass die Angst davor nicht größer war als der Wunsch, dass es so geschehen möge.
Lorenzos Hand hing vor ihrem Gesicht.
Sie empfing das Bedürfnis, die Bewegung zu vollenden und sie auf ihre Wange zu legen, und sendete das Bedürfnis, die Berührung zu spüren. Sie empfing den Wunsch, die andere Hand ebenfalls auszustrecken und ihren Körper zu umfangen und heranzuziehen und an sich zu pressen, und sendete den Wunsch, in der Umarmung aufzugehen. Dann verwirrten sich beide Gefühlsstürme vollkommen, und sie spürte unter ihren Fingerspitzen die kühle Haut des Mannes vor ihr und wie sich die Muskulatur seines Brustkorbs über seinem Sternum teilte und das harte Haar in diesem Tal, die Narben über seinem Oberkörper, ihre Finger strichen über seine Brustwarzen und ließen sie hart werden, ihre eigenen Brustwarzen wurden zu Knoten und die Berührung des nassen Hemdes schmerzhaft und lustvoll gleichermaßen, der Streifen der Körperbehaarung führte ihre Hand nach unten, seine Bauchdecke zuckte und brach in Gänsehaut aus, der kleine Brunnen seines Nabels und darunter die Senke, die unter der Berührung ebenfalls zuckte, ihr eigener Bauch zuckte mit, sie sah seine Hand immer noch reglos in der Luft hängen und wusste, sie würde verbrennen unter seiner ersten Berührung, Ströme aus Eiswasser und flüssigem Feuer rannen unter ihrer Haut und sammelten sich in ihrem Becken, senkten sich südwärts und überschwemmten ihren Schoß, sie fühlte sich nach vorn sinken und in seine Arme, das glatt-raue, kalt-warme, beruhigend-erregende Gefühl von sich überall berührender bloßer Haut füllte sie aus, sammelte sich in ihrem Rückgrat und schoss auf einer Bahn aus unhörbarem Jauchzen nach oben, explodierte in ihrem Kopf und sprengte ihren Geist auseinander. Tausend Fünkchen auf perfekten Parabeln, die in allen Richtungen davonwirbelten, und jedes einzelne von ihnen taumelnd, flirrend, schreiend, zuckend, in jedem der Fünkchen steckte Magdalenas Seele, und die Blume aus Funken sank zu Boden und flimmerte und ließ ein tausendstimmiges Seufzen hören und verlosch in einem weiten, hallenden, schwarzen Raum …
Magdalena starrte Lorenzo an. Keiner von ihnen beiden hatte sich bewegt. Lorenzos Augen waren glasig. Er ließ die ausgestreckte Hand sinken. Auf seinen Wangen brannten rote Flecken. Magdalena spürte die Berührung des nassen Hemdes auf ihrem Körper wie eine Umhüllung aus erstarrten Flammen. Sie ahnte, dass die Nässe, die sie zwischen ihren Schenkeln spürte und die sich anfühlte wie ein gewaltsamer Ausbruch ihrer Monatskrankheit, kein Blut war. Sie wusste nicht, was ihr zugestoßen war, aber sie wünschte sich schon jetzt, das Erlebnis wiederholen zu können. Vor ihrem inneren Auge senkten sich immer noch die Nachbilder der Funkenparabeln zu Boden. Sie versuchte zu erfühlen, welche Schwingungen von Lorenzo ausgingen, und stellte fest, dass ihr besonderer Sinn für den Augenblick verstummt war; er war nicht nötig, sie war sicher, dass sie nur die Hand ausstrecken und Lorenzo berühren musste, um zu wissen, was in ihm vorging.
Sie hob einen Arm aus Blei, der sich an einem Schultergelenk aus Sand drehte.
Lorenzo stand plötzlich auf. Er sah an sich herab. Ihre Blicke folgten den seinen. Aus seinem Schoß ragte ein Pfahl, der den dünnen Stoff der Hose spannte. Ihre Blicke trafen sich. Sie wusste, was er sich wünschte, und Angst schoss in ihr hoch, dass er diesen Wunsch aussprechen würde, denn ihr war klar, dass sie sich dem Wunsch nicht verweigern würde, weil es trotz all der Angst auch der ihre war. Am Rand ihres Blickfelds erhob sich der Pfahl unter seiner Deckung aus dünnem, in der Feuchtigkeit fast durchsichtigem Stoff und sah gleichzeitig mächtig und verletzlich aus. So, wie sie vor ihm kauerte, schien das verhüllte Organ direkt auf sie zu zeigen, sich ihr entgegenzurecken.
Magdalena ließ den angehaltenen Atem zischend entweichen. Ihr Geist verließ erneut das elende Gebüsch und die triefende Kälte. Er würde eindringen, aber sie würde ihn umfangen; er würde erobern, aber sie würde ihn aufnehmen; er würde der Schlüssel sein und sie das Schloss …
Seine Augen zuckten.
»Wir müssen weiter«, sagte er plötzlich, drehte sich um und floh aus dem Gebüsch, noch bevor Magdalena die Chance hatte, ihn zu berühren – oder ihm zu sagen, dass das, was er in diesen Bruchteilen von Augenblicken in ihr gesehen hatte, ihre nackte, reine Seele gewesen war und dass sie nichts
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