Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Lagerplatz schweifen, über den Reisewagen, der seine geborstenen Rippen in den Himmel reckte, das auseinandergetretene Feuer, die kleine Gruppe Toter in ihren Harnischen, von denen sich das leuchtend weiße Kleid der toten Magd und die zerlumpte Gestalt des jungen Mannes absetzten, die Grube am Waldrand, die Männer, die ihn anstarrten. Etwas war unwiderruflich zu Ende gegangen, ein Traum, von dem nie klar gewesen war, ob er ein guter oder schlechter Traum gewesen war. Er schnalzte mit der Zunge und trieb das Pferd in einen leichten Trab. Die Spuren wiesen ihm den Weg zurück dorthin, woher er gekommen war.
Kapitel 7.
A m dritten Tag ihrer Reise spürte Magdalena ihre Füße nicht mehr. Die ersten beiden Tage war sie dankbar dafür gewesen, dass der immer stärker werdende Schmerz ihre Gedanken so sehr beansprucht hatte, dass andere Überlegungen keinen Platz mehr hatten; etwa Überlegungen darüber, dass San Paolo nun schon das dritte Kloster gewesen war, das sie aus seiner Gemeinschaft verstoßen hatte. Konnte man es anders sagen? Nein, man konnte es nicht anders sagen, und man konnte auch nicht umhin zu bemerken, dass die Zeiten ihrer Zugehörigkeit zur Gemeinschaft mit jedem Mal kürzer wurden. Solange die wunden Stellen an ihren Zehen, wo die engen, flachen Schuhe an ihnen rieben, die Blasen an ihren Fersen und die Überanstrengung, die sich über die gesamte Wölbung ihrer Füße hinzog, sie beschäftigten, hatten diese Überlegungen im Hintergrund ihres Hirns gelegen.
Jetzt, stellte sie fest, hatten sich ihre Füße an die Beanspruchung gewöhnt, die wunden Stellen an den Zehen waren fühllos, die Blasen aufgegangen und von härter werdender frischer Haut überzogen und der Schmerz in der Wölbung ihrer Füße vergangen. Die Gedanken stellten sich wie ungebetene Gäste ein, die man, solange es irgend ging, vor der Tür hatte warten lassen, und ergriffen nicht nur Besitz von ihrem Denken, sondern auch von ihrem Herzen.
Sie hätte auf der Frage bestehen können: »Ehrwürdige Mutter, was habe ich Falsches getan?« Die Äbtissin hätte geantwortet: »Da du es nicht selbst erkennst, macht es keinen Sinn, es dir zu erklären.« Sie hätte sagen können: »Das Bild an der Wand war so verwischt; jede x-Beliebige hätte darin einen Falken erkennen können.« Und die Äbtissin hätte erwidert: »Nein, von den anderen Schwestern hier keine.« Abgesehen davon war die Verwechslung des Heiligen Geistes mit einem Falken nicht die Ursache, sondern nur die Wirkung.
Magdalena hatte sich ans Ende der kleinen Gruppe zurückfallen lassen, sehr zum Verdruss des jungen Mannes mit der Pike, den sein Scharführer zur Nachhut erklärte hatte und der als Letzter hinter allen herzugehen hatte. Magdalena hatte in sein Herz gesehen und erkannt, dass er sich fürchtete, seitdem sie die unmittelbare Umgebung des Klosters verlassen hatten, und dass er sich nur dann halbwegs in Sicherheit wähnte, wenn er sich möglichst in Tuchfühlung mit seinem Scharführer und seinem Kameraden befand. Sie fühlte seine Not, aber sie konnte sie nicht lindern. Ihre Not war größer; sie hätte es weder ertragen, Schwester Immaculatas in stiller Demut leuchtendes noch Schwester Radegundis’ aufgeregt glühendes Gesicht zu sehen. Eine merkwürdige Gruppierung, wenn man darüber nachdachte: drei Klosterschwestern und drei Waffenknechte – und gleichsam als Puffer zwischen beiden Fraktionen die drei Mönche, die noch kein Wort gesprochen hatten, seit Magdalena, Immaculata und Radegundis außerhalb ihrer Mauern auf sie gestoßen waren: Bruder Girolamo und seine Begleiter. Offenbar kehrten sie nach getaner Erkundung zurück nach Rom, um dort zu berichten, dass die Menschen in Norditalien an ihrem Unglück selbst schuld waren, weil sie den großen Strom als Glücksbringer verehrten, während er – wenn es nach Bruder Girolamo ging, der aus den Bergen stammte – doch in Wahrheit das Glück von ihnen fortschwemmte. Magdalena wusste nicht, ob dies tatsächlich die Absicht Bruder Girolamos war. Die Mönche waren so still und finster, dass Magdalena keinen Versuch unternommen hatte, in sie hineinzuschauen; die Dunkelheit, die sie in ihrem Herzen fühlte, reichte vollkommen aus für diese Reise in die Verbannung, die Finsternis anderer Menschen noch dazuzupacken war höchst überflüssig.
»Wir müssen aufschließen, heilige Schwester«, sagte der junge Mann in Magdalenas Rücken nervös. Sie stellte fest, dass er so dicht hinter ihr ging, dass er seinen
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