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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Schritt dem ihren hatte anpassen müssen.
    »Wir sind noch immer in Sicht- und Hörweite«, erklärte Magdalena.
    »Der Scharführer mag es nicht, wenn wir eine so weit auseinandergezogene Linie bilden.«
    Magdalena blinzelte in den weißen Himmel.
    »Es ist heiß«, sagte sie. »Es muss irgendwann zwischen der Sext und der Non sein. Wann rasten wir?«
    Die Mittagssonne brachte einen weißen Himmel zum Gleißen, der wie eine umgestülpte Schüssel über dem Land lag und alles in Hitze einhüllte. Der Sommer neigte sich, aber er ergab sich nicht kampflos; selbst die Brise, die die Pappeln auf den Dämmen zum Beben brachte, war heiß. Die Straße lag vor ihnen als regelmäßiges Muster von blassem Licht und unklarem Schatten, das die Pappeln links und rechts am Wegesrand darüber warfen. Magdalena hatte den Scharführer reden gehört, dass sie sich auf der Via Aemillia bewegten und dass die Straße weit über tausend Jahre alt war. Die römischen Legionen waren bereits über sie gezogen auf dem Weg nach Norden. Magdalena spürte die Schwingungen, als liefe die Straße auf einer Linie entlang, die eine beunruhigende Kraft ausströmte und die auch dem Harthörigsten in die Seele flüsterte: Voran, voran, je schneller du gehst, desto eher kannst du mich verlassen. Die römischen Straßenbauer hatten gewusst, wie sie die Legionen zur Eile antreiben konnten, ohne dass ihre Offiziere die Peitsche schwingen mussten.
    Über der Straße bewegte sich der Duft, den das Land ausströmte wie ein unruhiger Schläfer: fünfzig lähmende Schritte durch den trockenen Geruch von sonnengebackenem Lehm, fünf erfrischende durch den Duft von Kamille, Thymian und Rosmarin, hundert durch das schwach beißende Odeur von Exkrementen, und dann – abrupt – ein langer, wundersamer Gang durch eine Ahnung von klarem Wasser, einen Hauch von frisch gemähtem Gras, eine Andeutung von Nadelwald und eine Spur von in der Sonne reifenden Äpfeln. Woher die Brise die Gerüche brachte, war nicht festzustellen; selbst der Duft der wilden Kamille drang einem an Stellen in die Nase, an der die staubig-grünen Kräuter weit und breit nicht zu sehen waren.
    »Der Scharführer gibt die Befehle.«
    »Und wann, glaubst du, wird er den Befehl geben zu rasten?«
    Sie drehte sich nicht um; sie ahnte das Schulterzucken des jungen Mannes auch so. Ihre Unterhaltung war unbeholfen: Magdalena sprach über ihre Schulter und er zu ihrem Rücken.
    »Wo sind wir überhaupt?«
    Als keine Antwort kam, ging sie davon aus, dass der junge Mann es selbst nicht wusste. Sie wandte den Kopf weit genug, um sein Gesicht aus dem Augenwinkel sehen zu können. Er blickte um sich, maß den Stand der Sonne, seine Lippen bewegten sich, und sie erkannte erstaunt, dass er auszurechnen versuchte, wie weit sie schon gekommen waren.
    »Zwei Tage und ein halber«, sagte er schließlich langsam. »Und der Umweg über die Abtei von Nonantola, wo wir von gestern auf heute genächtigt haben … Wir müssten in der Nähe von Piumazzo sein. Oder auf der Höhe von Castelfranco.« Er deutete vage nach Norden. »Ja, das müsste stimmen.« Sie sah sein Grinsen und wandte sich noch weiter zu ihm um, ohne stehen zu bleiben. Er freute sich wie ein Hündchen, das ein Kunststück vollbracht hatte. »Heute Abend müssten wir in der Nähe von Bologna Quartier finden.«
    »Warst du schon einmal hier, dass du das weißt?«
    »Ich bin rumgekommen, als ich noch jünger war.«
    »Mit deiner Familie?«
    »Ja.«
    »Und dann hat sich deine Familie in Parma niedergelassen? Vom Land in die Stadt?«
    Er schüttelte den Kopf. Sie musterte ihn über die Schulter hinweg. Etwas warnte sie davor, ihn weiter zu fragen, etwas, das wie ein leiser Hauch von ihm zu ihr wehte und in dem sie Sorge, dann Überraschung, Panik und das schreckliche Gefühl zu erkennen meinte, plötzlich allein zu sein inmitten eines tödlichen Chaos. Es schnürte ihr den Hals zu. Der Blick des jungen Mannes schien in die Vergangenheit zu gehen; er blinzelte, als würde es ihn in den Augen schmerzen, was er dort sah. In Magdalenas Kopf wirbelten Bilder, die ihr eigenes Gehirn zu den Schwingungen hinzuerfand, die sie empfing.
    »Genug für den Augenblick«, sagte plötzlich eine Stimme an ihrem Ohr. Sie schrie erschrocken auf und fuhr herum. Die Bewegung ließ sie in eine Gestalt hineinrennen, die sie an den Armen packte und vor einem Fall bewahrte und dann einen Schritt zurücktrat. Mit wildem Herzklopfen spähte sie in den Schatten unter der halb

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