Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Strecke nehmen, die wir gekommen sind? Da kommen wir mit ihm niemals durch.«
»Du hast nicht den Befehl, Pietro. Ich bin der Stellvertreter von capitano Ghirardi.«
»Freunde, hört es ohne Klagen, Niccolò hat hier das Sagen«, sang Pietro.
»Und daher befehle ich dir, Pietro Trovatore, dass du nach Florenz voranreitest und Ser Bianchi Bescheid gibst, was wir hier vorgefunden haben. Ich gebe dir eine Nachricht mit. Hat jemand ein Wachstäfelchen oder etwas anderes, worauf …«
»Lorenzo hat mir befohlen, beim Trupp zu bleiben und auf capitano Bandini aufzupassen«, sagte Pietro mit einem unüberhörbaren Grinsen in der Stimme.
Bandini versuchte, sich einzumischen, stellte aber fest, dass niemand ihm zuhörte. Es fiel ihm zusehends schwerer, sich auf die Geschehnisse um ihn herum zu konzentrieren oder sie mit dem nötigen Interesse zu bewerten. Schließlich setzte sich das Pferd mit ruckenden Bewegungen in Gang, und Bandinis Gedanken nahmen den Rhythmus auf und wanderten in Gefilde, in die ein stärkerer und wacher Antonio Bandini sie nie hätte wandern lassen. Sie machten sich auf in die Vergangenheit, wo sie auf Bernardo Bandini trafen, Antonios Onkel, und den zehnjährigen Antonio selbst, der sich im Leben nichts sehnlicher wünschte als genauso zu werden wie dieser Onkel – dieser jüngste Bruder seines Vaters, der stets am lautesten lachte, am weitesten sprang, am schnellsten rannte und am ehesten von allen bei irgendeinem Unsinn mitmachte. Der ein enger Freund von Giuliano und Lorenzo de’Medici war, mit denen auch nur entfernt auf gutem Fuß zu stehen für drei Viertel der Florentiner Bevölkerung schon die Erfüllung der gesellschaftlichen Anerkennung gewesen wäre. Bandinis wandernde Gedanken stöberten ein Bild auf, das längst hätte vernichtet sein sollen. Doch da war es immer noch, und was das Wundfieber seinerzeit nach der Verletzung, die ihn sein Auge gekostet hatte, nicht vermocht hatte, gelang den Nachwirkungen des Schlages mit dem Eisenschuh der Pike; was der Zwang damals, mit einer Hand, von der ein Axthieb sämtliche Finger abgetrennt hatte, mehrere Stunden vor Schmerz halb besinnungslos eine steile Felswand hinunterzuklettern, nicht vermocht hatte, vollbrachten nun die Kopfschmerzen, seine Hilflosigkeit und der schaukelnde Schritt des Pferdes.
Bernardo Bandini drehte sich nicht um, als Antonio ihm von der Türschwelle des Hauses seiner Eltern nachwinkte. Antonio ließ die Hand sinken und sah seinem Onkel verwundert hinterher. Womit hatte er Bernardo verärgert? Bernardo war den ganzen Morgen wortkarg gewesen; es schien Antonio, dass er schon in dieser Stimmung angekommen war, aber da es nicht sein konnte, dass Bernardo, dieser perfekte Mensch, Launen hatte, suchte der kleine Junge die Schuld bei sich selbst. Er holte Atem, um Bernardo nachzurufen, aber dann hatte er nicht genug Mut dazu. Mit Tränen in den Augen sah er dem langsam davonschreitenden Mann nach, der sich in tiefem Gespräch mit Franceschino de’Pazzi befand. Franceschino hatte Bernardo abgeholt und ein paar Albernheiten zu Antonio gesagt, die dieser ignoriert hatte, weil er den ständig nervösen und überdrehten Franceschino für einen ausgemachten Trottel hielt. Antonios Eltern traten aus der Tür; in der Erinnerung, die zu dem Bild gehörte, klangen ihre Stimmen wie durch eine Wasserwand, als sie ihn zurück ins Haus schickten, damit er sich in der Frühlingskälte nicht den Tod holte – gerade erst genesen von einer schweren Erkältung, die ihn einen langen Teil des Winters ans Bett gefesselt hatte. Eine schwächliche Konstitution hat dieses Kind, hörte er die Stimme seines Vaters mit einer Portion Verachtung, und: Was dem Kind fehlt, wird der Mann auskuriert haben, die Entgegnung seiner Mutter. Antonio schob sich an der Reihe der Dienstboten entlang in die Dunkelheit des Hausinneren, vage erleichtert, dass sie die Tränen nicht sehen konnten, die weniger aus Enttäuschung über die Ostermesse, die er versäumen würde, über seine Wangen liefen als vielmehr aus Schmerz über das abweisende Verhalten Bernardos.
Das eine Bild führte zum anderen; eigentlich gehörten sie beide zusammen, so wie sie auch, in ihrer unseligen Einheit, auf ewig mit der Person Bernardo Bandinis verbunden sein würden, dem Mann, dem Antonio sein Kinderherz und sein Kindervertrauen geschenkt hatte und an den er seinen Kinderglauben geheftet hatte, dass es kein höheres Ziel gäbe als Bernardos Beispiel nachzueifern. Das andere Bild: Es
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