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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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der Mähne fest und versuchte gleichzeitig, nicht heruntergeschleudert zu werden, die Füße in den Steigbügeln zu behalten, die Zügel zu erhaschen und durch das Auf und Ab nicht entmannt zu werden. In keiner der Disziplinen schien ihm noch länger anhaltender Erfolg beschieden zu sein. Das Gebüsch mit dem Baum und seinem mörderisch ausgestreckten Ast kam immer näher heran, aus Cortos Perspektive etwas, das in seinem Gesichtsfeld wild herumtanzte und bei jedem Aufprall zurück auf den Sattel in doppelte und dreifache Konturen auseinanderplatzte. Der Gaul hielt stracks auf den Baum zu. Der Ast war einer von der Sorte, an die man Stricke knüpfte, um einen Kerl sich damit die Reise ins Vergessen erstrampeln zu lassen. Corto, der die Absicht des Pferds plötzlich erkannte, begann ebenfalls zu strampeln und versuchte in Umkehrung seiner Taktik die Steigbügel abzustreifen, um abspringen zu können. Er würde sich wahrscheinlich den Hals dabei brechen, aber wenn das Pferd unter dem Ast hindurchbrauste und Corto daran abstreifte, brach er sich den Hals auf jeden Fall. Die Steigbügel saßen stramm wie Fesseln. Der Ast tanzte heran, als ob er winken würde. Corto, dem die Augen in den Höhlen herumschlackerten und dessen Zähne aufeinanderschlugen, stierte das wankende Bild an. Das Donnern der Hufe war überall um ihn her wie die Trommeln des Jüngsten Gerichts. Der Gaul wieherte und schien noch zu beschleunigen. Der Ast flog über den Kopf des Pferds auf Corto zu. Corto warf sich zur Seite, kleine Ästchen prasselten ihm um die Ohren. Es würde nicht reichen. Niemals. Plötzlich verschwand Corto aus dem Sattel, verschwand in einem Schauer aus Blättern, Zweigen und dem Staub und den Erdbrocken, die die Hufe aufwirbelten. Das Pferd raste weiter, eine gerade Linie, von wo es losgestürmt war, bis unter die Obstbäume jenseits des Gebüschs, wo es entweder stillhalten oder einschlagen musste wie das Geschoss eines Katapults. Der Ast, den der Obstbaum Corto in den Weg gestreckt hatte, wippte auf und ab und verteilte noch immer Zweige und Blätter um sich her, als das Pferd schon mehrere Längen weiter war. Die Zuschauer auf der Straße gafften. Das Pferd warf den Kopf zurück und wieherte. Corto erschien unvermittelt wieder über der Kruppe des Pferdes, ein Bein zuerst und dann ein Arm. Dann schwang er sich zurück in den Sattel, auf und ab gestoßen wie vorher, aber er drehte sich zu dem Baum um, der ihm ans Leben gewollt hatte, und stieß eine Faust in die Luft.
    »Du nicht!«, brüllte er über dem Hufetrommeln. »Du nicht !«
    Der Gaul schien langsamer zu werden. Corto wandte sich ab, um zu sehen, wohin die Raserei ihn trug.
    Genau in diesem Augenblick fegte ihn das Seil aus dem Sattel, das Lorenzo zwischen den Bäumen geknüpft hatte.
    Lorenzo sprang auf, als sein Pferd an ihm vorbeitrabte. Mit zwei Sätzen war er bei der reglosen Gestalt des Mannes, der mit einem Salto vom Rücken des Pferdes geflogen und zwischen den Brennnesseln gelandet war. Der Kahlkopf lag auf dem Rücken und schnappte nach Luft. Lorenzo fuhr ihm mit der Hand an den Gürtel, zog den Dolch heraus und nahm ihn an sich. Weitere Waffen konnte er nicht entdecken. Er richtete sich auf und starrte auf den Mann hinunter. Dieser hatte seine Blicke fokussiert und musterte Lorenzo unverwandt. Lorenzo war überrascht, wie schnell der Kahlkopf sich in der neuen Situation zurechtfand. In seinem Kopf mussten noch die Glocken eines halben Dutzends Kirchen zu hören sein. Lorenzo hatte sich nach der Erzählung Antonio Bandinis ein grobes, breites Gesicht vorgestellt, aber die Gesichtszüge des Mannes auf dem Boden waren eher schmal und fein gemeißelt. Er hatte Grübchen links und rechts der Mundwinkel und ein Netz von strahlenförmigen Falten um seine Augen. Es schien beinahe, als ob er resigniert lächelte.
    »Das ist mein Pferd«, sagte Lorenzo. »Ich brauche nur mit der Zunge zu schnalzen, dann kommt es angerannt. Es hört mich über eine Meile hinweg.«
    Der Kahlköpfige sagte nichts.
    »Das ist auch mein Seil«, fuhr Lorenzo fort und nickte zu der Falle hinüber, die er aufgebaut hatte. »Ich hoffe, du hast keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Ich wollte nicht abwarten, bis wir einander auf höfliche Weise vorgestellt werden.« Er lächelte auf den am Boden liegenden Mann hinab. »Du bist mein Gefangener.«
    »Es war einmal eine Maus«, erklärte eine Stimme in Lorenzos Rücken, »die schaute aus ihrem Käfig hinaus und sagte: Unglaublich, die

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