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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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leicht gefallen wäre, sondern weil niemand sie hätte tragen können. Die Glücklicheren unter ihnen trugen Verbände über ihren Wunden; sie waren in der Minderzahl. Stofffetzen klumpten rot an den Stellen, an denen Ohren gewesen waren – oder man konnte die blutverkrusteten Löcher sehen, an denen sie hätten sitzen sollen. Nasen … die älteren Frauen hatten keine Nasen mehr, und ihrem schmerzverzerrt zusammengekauerten Hinken konnte man entnehmen, dass noch weitaus schlimmere Schmerzen dort tobten, wo zerrissene und blutige Röcke sie bedeckten. Ihre verstümmelten Gesichter waren die von Monstren, aber die Monster waren in Wahrheit die gewesen, die ihnen das angetan hatten. Die jüngeren Frauen und die Mädchen – und ein paar von den Jungen, der Himmel erbarme sich – hinkten ebenfalls, waren jedoch, von blau geschlagenen Augen oder Kratzern abgesehen, scheinbar äußerlich unverletzt. Die kleineren Kinder weinten. Ein Mann röchelte mit jedem Schritt, den er machte, aus seinem freien Oberkörper starrten die Federn von fast einem halben Dutzend Armbrustbolzen, die alle miteinander keine lebenswichtigen Organe verletzt hatten.
    Bandini starrte die Prozession fassunglos an. Er hörte das mitleidige Gemurmel von Lorenzos Männern und sah dann eine Hand, die sich von einem Pferderücken herunter ausstreckte und Münzen in der Hand hielt. Ein junges Mädchen schnappte sie und musterte den Geber – Franceschino – mit hasserfülltem Blick. Sie zog ein noch jüngeres Mädchen hinter sich her, das mit stierem Blick vor sich hin stolperte und den Anschein machte, in sich zusammenzusinken, sobald die andere sie losließ. Buonarotti versuchte die schlimmsten Wunden anzusehen, doch die Menschen hielten weder an, noch ließen sie ihn an sich heran. Bandini glaubte in dem missmutigen, platt geschlagenen Gesicht Buonarottis Verzweiflung wahrzunehmen. Eine Hand hielt den Beutel mit den Bandagen und den Salben, als wäre darin nur nutzloser Müll. Über der gesamten Gruppe hing – greifbarer noch als der Straßenstaub und der Geruch nach Gewalt – ein Gefühl des Schocks: Menschen, in deren Leben plötzlich eine Tür aufgegangen war und denen auf die harte Tour gezeigt worden war, dass die Mächte der Finsternis jederzeit in ihre Mitte treten konnten und dass die Finsternis dort am dunkelsten war, wo sie Eingang in die Herzen ihrer Mitmenschen gefunden hatte. Das Mädchen, das seine Leidensgenossin hinter sich herzerrte, schlurfte an Bandini vorbei.
    »Mädchen, he, Mädchen«, sagte eine Stimme, die Bandini nicht als seine eigene erkannte, die aber aus seinem Mund kam. Er erschauerte, als sein Kopf mit jeder Silbe dröhnend pulsierte. So weit seine Stütze es zuließ, beugte er sich nach vorn, um die Unselige ansehen zu können, selbst ein Anblick, der dazu in der Lage war, den Tod aufmerksam werden zu lassen. Sein Gesicht troff, die grauen Haare, die unter dem Kopfverband hervorschauten, waren nass und fettig, er hing in seinem Stützgerüst wie ein lebloses Stück Fleisch. Sein gesundes Auge zuckte. »He, Mädchen, was ist passiert?«, krächzte er. In seinem Hirn verwirrten sich die Bilder, die sein Auge wahrnahm, und diejenigen, die aus der Erinnerung emportaumelten. Er stierte die Unglücklichen an und stöhnte; er wusste nicht, was er wirklich sah.
    Das Mädchen warf ihm einen mörderischen Blick zu. Sie richtete sich unwillkürlich auf und zuckte zusammen, eine Faust vor dem Schoß verkrampft. »Sie sind in unser Dorf gekommen«, flüsterte sie. »Wir sind die Einzigen, die überlebt haben.«
    Pietro Trovatore beugte sich nach vorn. »Wo liegt euer Dorf?«
    Sie wandte den Kopf ab und machte Anstalten, weiterzugehen.
    »Was haben sie von euch gewollt?«
    Das zweite Mädchen gurgelte und fuchtelte mit der freien Hand herum.
    »Waren es Männer mit Piken?«, fragte Pietro. »Und mit einem Trosswagen? Ein Kahlkopf … war ein Kahlkopf dabei?«
    Das zweite Mädchen öffnete den Mund und schien nach Luft zu schnappen. Sie schwankte. Ein Blutschwall schwappte über ihr Kinn. Pietro versuchte abzusteigen, aber Buonarotti war schneller und fasste sie unter, ohne dass ihre Führerin sie deswegen losgelassen hätte. Bandini blinzelte; die Erinnerung tat sich auf, und er sah sich einen Augenblick selbst, wie er eine Reihe von blutigen, geschundenen, stöhnenden Menschen entlanglief und an gebeugten Schultern schüttelte, nass geweinte, vom Herbstregen und vom kalten Wind blaue Gesichter packte und zu ihm herumdrehte,

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