Die Braut des Herzogs (German Edition)
Marilla hin- und hergerissen zwischen Neugierde und banger Erwartung.
»Vielleicht sollte ich noch einmal mit dem Schuster sprechen?« erwog ihre Stieftochter, verwarf diesen Plan jedoch gleich wieder: »Nein, ich glaube es ist besser, wenn wir abwarten, ob man neuerlich an mich herantritt – oder nun, da du in London bist, vielleicht an dich. Marilla!« rief sie plötzlich: »Der Bote! Man hat dich durch eine List hierher geholt!«
»Du meinst …«, stammelte Marilla aufgeregt.
»Aber sicher! Als man feststellte, daß man durch mich Mats Adresse nicht herausfinden würde, hat man beschlossen, sich an dich zu wenden. Ich bin neugierig, wie man versuchen wird, an dich heranzutreten …«
»Du meinst doch nicht, daß man auch meine Handtasche entreißen wird!« rief Mylady geschockt.
»Aber nein, sicherlich nicht. Sie werden sich etwas Neues einfallen lassen. Vielleicht haben sie dich aber auch hergeholt, in der Hoffnung, daß du unwissentlich Mat verraten würdest. Sie denken vielleicht, Mat hält sich in London auf und du würdest ihn besuchen. Man könnte dich beschatten und dir folgen …«
Dieser Gedanke war Mylady alles andere als behaglich. Sie riß sich jedoch zusammen und sagte energisch: »Was auch immer es sei, von mir werden diese Kerle nicht die Adresse meines Sohnes erfahren. Ich werde auf der Hut sein und keinen Hinweis liefern, der meinen Sohn verraten könnte. Sollte ich jemals etwas über ihn in Erfahrung bringen.« Es klopfte an der Türe.
Auf Marillas Aufforderung hin betrat Olivias Zofe das Zimmer: »Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber Lady Darlington hat nach Miss Olivia gefragt, Mylady.«
Marilla blickte auf die Uhr: »Wie spät es geworden ist. Es ist ja fast schon Zeit, sich für die Vauxhall Gardens umzukleiden! Geh nur, meine Liebe, ich glaube, wir haben alles Nötige besprochen. Du brauchst meinetwegen deine Tante nicht warten zu lassen.«
XXIV .
Der Abend senkte sich warm und sternenklar hernieder, wie geschaffen für eine Veranstaltung unter freiem Himmel.
Die Gesellschaft, die Lady Darlington für ihre Loge zusammengestellt hatte, hatte eben das Boot nach der Überfahrt verlassen, als der Vicomte de Valliseau ihren Weg kreuzte.
Olivia konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß er auf sie gewartet hatte, obwohl nichts in seinem Verhalten darauf hindeutete.
»O Mylady, Miss Redbridge!« rief er erfreut aus: »Wie bin ich glücklich, bekannte Gesichter zu sehen. Ich hatte mich mit ein paar Freunden verabredet, aber ich scheine sie verfehlt zu haben. Nun muß ich sie suchen. Doch malheureusement: Ich bin zum erstenmal hier, und da fällt es mir schwer, mich zu orientieren.«
Es war offensichtlich, daß er beabsichtigte, sich der Gruppe anzuschließen. Olivia, nur zu froh, einen amüsanten Begleiter gefunden zu haben, beeilte sich, ihn allen Anwesenden vorzustellen.
Lady Darlington kannte den Vicomte natürlich, nicht aber die Schwester des Generals, Miss Gleavensham.
Diese war eine hochgewachsene Frau mit einem Gesicht, das Olivia stark an einen Adler erinnerte. Die Haare waren streng aufgesteckt, ohne jeglichen Aufputz. Ihre dunkel-violette Robe wurde nur durch ein schmales Rüschenband am hochgeschlossenen Kragen aufgehellt, ein dezent gemusterter Paisley-Schal schützte vor der abendlichen Kühle. Das Häubchen bewies, daß sie sich schon lange nicht mehr zu den heiratsfähigen Damen zählte. Sie hatte nur zögernd die Einladung von Lady Darlingtonangenommen. Für derartige Belustigungen hatte sie im allgemeinen nichts übrig. Und sie hatte sich den ganzen Weg bisher in unnahbares Schweigen gehüllt. Gegen den Charme gutaussehender Herrn war sie jedoch wie viele alte Jungfern nicht gefeit, und so lockerten sich nun ihre Gesichtszüge, und sie schenkte dem Vicomte ein huldvolles Lächeln.
Marilla, die Muße hatte, den Franzosen zu beobachten, während er sich bei Miss Gleavensham angenehm machte, betrachtete ihn skeptisch. Der junge Mann war hübsch, lächelte knabenhaft und verstand es, charmant zu plaudern, und doch – sie hatte das Gefühl, als wohne sie einem Schauspiel bei, als gäbe sich der Franzose absichtlich ganz anders, als er in Wirklichkeit war. Nichtsdestotrotz reichte sie ihm ihre Hand mit einem freundlichen Lächeln.
Auch der General begrüßte Valliseau jovial und meinte mit seiner polternden Heiterkeit, indem er ihm mit einer seiner großen Hände auf die Schulter schlug, er habe nichts dagegen, daß sich ein zweiter Gentleman der Runde
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